Wo deutsche Mitbestimmung an ihre Grenzen stößt

Chattanooga · In den Augen der US-Bürger sind die Deutschen ein manchmal schwer zu durchschauendes Volk. Sie gelten als fleißig und zuverlässig, verstehen sich auch aufs Feiern, wovon der ungebrochene Zulauf zu „deutschen“ Biergärten in den USA zeugt.

Doch was die meisten Amerikaner gar nicht verstehen, ist diese Mitbestimmung für Arbeitnehmer. Das zeigt sich beispielhaft beim - vorerst gescheiterten - Versuch von Volkswagen, in seinem US-Werk einen Betriebsrat zu gründen.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: In einer deutschen Fabrik sollen die Mitarbeiter abstimmen, ob sie von einer Gewerkschaft vertreten werden möchten. Und der örtliche Bundestagsabgeordnete erklärt dazu: "Wenn sie gewinnen, wird sich der Lebensstandard der Menschen verschlechtern." Unternehmen würden sich dann nicht mehr dort ansiedeln, so das Argument. So geschah es in Chatta nooga, wo VV seit drei Jahren sein einziges US-Werk betreibt. 5000 Jobs in der Passat-Fabrik selbst, bei Zulieferern und sonstigen Firmen hängen von dem Standort ab, rechnet der Konzern vor. Das ist viel für den strukturschwachen Süden der USA.

Ein Baumeister dieses kleinen Wirtschaftswunders ist Bob Corker, früher Bürgermeister der Stadt und heute Senator in Washington. Die ersten Gespräche über das Werk hätten in seinem Wohnzimmer stattgefunden, erzählt er gern. Heute ist Corker derjenige, der am heftigsten gegen eine Arbeitnehmervertretung nach deutschem Vorbild giftet. Denn dadurch, so fürchtet der Republikaner, könnte die Auto-Gewerkschaft UAW in der Region Fuß fassen. "Schaut euch Detroit an", warnte er mit Blick auf die insolvente Auto-Stadt im Norden .

Im amerikanischen Süden haben Gewerkschafter seit jeher einen schweren Stand. Als die Kunde von der Wahl zur Arbeitnehmervertretung bei VW die Runde machte, plakatierte eine konservative Lobby-Gruppe den Slogan "United Obama Workers" (Vereinigte Obama-Arbeiter). Die UAW profitiert seit dem Amtsantritt des Präsidenten vom Wohlwollen Obamas, den die Gewerkschafter zuvor politisch massiv unterstützt hatten. So wurde die Neuorganisation der Konzerne GM und Chrysler unter Bedingungen vorgenommen, von denen die Auto-Gewerkschaft profitierte. Für böses Blut sorgte auch Corkers Menetekel, das Werk werde ein geplantes zweites Auto-Modell verlieren, falls die UAW die geheime Abstimmung gewinne. Werkschef Frank Fischer sah sich zum Dementi genötigt.

Die Frage, ob die UAW im Werk Chatta nooga einzieht, wurde zum landesweiten Politikum. Die größte Wirtschaftszeitung, das "Wall Street Journal", stellte gar eine Verschwörungstheorie auf: Die bei Volkswagen mächtige IG Metall "konspiriere" mit der UAW, um den amerikanischen Standort unattraktiver zu machen - und so deutsche Arbeitsplätze zu schützen. Letztlich entschied sich bei der geheimen Abstimmung in Chattanooga eine Mehrheit der VW-Werker gegen eine Vertretung ihrer Interessen durch die UAW. Eine bittere Abfuhr, indirekt auch für die IG Metall und den in Deutschland einflussreichen Gesamtbetriebsrat.

Bei Volkswagen selbst ist man davon überzeugt, dass sich das deutsche Modell bewährt hat. Werksleitung und Konzernbetriebsrat wollen nun andere Wege suchen, eine Arbeitnehmervertretung zu gründen. Das Interesse bei den Beschäftigen in Chattanooga sei jedenfalls groß, heißt es. Immerhin 89 Prozent der Mitarbeiter, die alle stundenweise bezahlt werden, hätten an der Abstimmung teilgenommen, erklärte der Konzernbetriebsrat.

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