Willkommener Gast mit Verständnis für Russland

Moskau · Sigmar Gabriel war in Moskau . Zum dritten Mal seit der Annexion der Krim im Frühjahr 2014. Ob Präsident Wladimir Putin Zeit für den deutschen Vizekanzler finden würde, war dabei zunächst offen. Schließlich gab es ein zweieinhalbstündiges Treffen, bei dem laut Gabriel "sehr viel und sehr intensiv" über die Konfliktherde Syrien und Ostukraine gesprochen wurde.

Dass Moskau den deutschen Sozialdemokraten ziehen lassen würde, ohne ihm eine Putin-Audienz zu gewähren, war kaum zu erwarten. Der Besuch des Vizekanzlers ist ein Highlight. Zwar schaut gelegentlich auch US-Außenminister John Kerry im Rahmen des Syrienkonflikts vorbei. Gabriel kam jedoch als Vertreter einer Partei, die "traditionell mehr Verständnis aufbringt für Russlands Interessen", sagt Jekaterina Timoschenkowa vom Deutschland-Institut der Akademie der Wissenschaften. Hochrangige Gäste aus dem Westen sind rar - abgesehen von Vertretern EU-kritischer Bewegungen.

Die Visite des Sanktionskritikers Sigmar Gabriel lieferte Moskau jedoch eine Steilvorlage. Gabriels Auftritt wird als Beweis für die Uneinigkeit des Westens gewertet. Kurzum, Gabriel ist bei Freunden zu Gast. Unmittelbar nach dem Erdrutschsieg der Kremlpartei "Einiges Russland " bei den Dumawahlen nimmt Präsident Putin persönliche Glückwünsche gerne entgegen. Denn sie legitimieren auch den Wahlausgang. Drei Viertel aller Parlamentssitze erhielt die Kremlpartei, die Opposition keinen.

Im Juni warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) die Nato , die Lage an der EU-Ostgrenze "durch Säbelrasseln und Kriegsgeheul" nicht weiter anzuheizen. Seither erhärtet sich der Verdacht: Die SPD könnte mit einer Neuauflage der Ostpolitik der 1970er Jahre in den Bundestagswahlkampf 2017 ziehen. Über Unterstützung bei der hybriden Kriegsführung freut sich Moskau . Gleichwohl verschont Außenminister Sergej Lawrow den deutschen Amtskollegen nicht vor Erniedrigung. Die Feuerpause um Aleppo lehnte Lawrow im Juli kaltschnäuzig ab, wider besseres Wissen wiederholte er die Vergewaltigungslüge einer russischstämmigen Berliner Schülerin.

Berlin antwortet mit vertrauensbildenden Maßnahmen. Unterdessen führt Putin in der Ost ukraine weiter Krieg und stützt Assad und die Streubomben des Regimes. Selbst die Hackerangriffe auf den Bundestag werden nicht angesprochen. Bei Wählern der Linken und der AfD genießt Putin mehr Vertrauen als Kanzlerin Angela Merkel. In dieses Wählerpotenzial wollen Gabriel und Steinmeier möglicherweise vorstoßen. Fraglich ist aber, ob der Zugewinn von einigen Prozentpunkten den Handel mit demokratischen Prinzipien aufwiegt.

Mit einer sofortigen Lockerung der Sanktionen rechnet in Moskau niemand. Aber Russlands Deutschlandexperten glauben, eine vorsichtige Normalisierung der Beziehungen beobachten zu können. Gute Nachrichten für Moskau : weder Kompromisse noch Zugeständnisse sind nötig.

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