Wie zu Franz Josefs Zeiten

Meinung · Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, würde in Berlin entschieden, ob ein bayerischer Ministerpräsident im Amt bleiben darf oder nicht. Ein solcher Witz, dass ihn der Betroffene Horst Seehofer nicht ernst nimmt

Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, würde in Berlin entschieden, ob ein bayerischer Ministerpräsident im Amt bleiben darf oder nicht. Ein solcher Witz, dass ihn der Betroffene Horst Seehofer nicht ernst nimmt. Im Gegensatz zu seinem Vor-Vorgänger Edmund Stoiber (CSU) ging er in der Affäre um steuerfinanzierte Umfragen, so genannte Resonanzstudien, auch nicht hinter einem eilends auserkorenen Schuldigen in Deckung, sondern übernahm die volle Verantwortung. Wenn jemand personelle Konsequenzen wolle, solle er sich an ihn wenden, sagte Seehofer. Das bringt ihm sogar ein Lob von der Opposition ein. Als Regierungschef setzte Seehofer wahrscheinlich nur das fort, was in Bayern jahrzehntelang üblich war: Die Staatskanzlei, mehr als 50 Jahre fest in CSU-Hand, ließ regelmäßig untersuchen, wie die Politik der Staatsregierung beim Volk ankommt - auf Steuerzahlers Kosten. Und da CSU gleich Freistaat gleich Staatsregierung war, scherte man sich nicht viel um Abgrenzungsfragen. Empfehlungen für die Regierenden waren zugleich auch Handlungsanweisungen für die CSU-Zentrale. Seit September 2008 ist freilich vieles anders im Freistaat. Die CSU muss ihre Macht mit dem Koalitionspartner FDP teilen, was ihr mehr als schwer fällt. Weil aber die letzte "Resonanzstudie" traditionell auf die CSU zugeschnitten war, verzichtete man in der Staatskanzlei wohlweislich darauf, sie mit den liberalen Kabinettskollegen zu erörtern. Auch wenn diese vermutlich interessiert hätte, was ihrem großen Koalitionspartner für die Auseinandersetzung mit den Liberalen angeraten wurde. Ein besonderes Ruhmesblatt für die "neue CSU" des Horst Seehofer ist das Kapitel also nicht. Ob es aber das Format eines Skandals annehmen und den Parteichef ernsthaft in Schwierigkeiten bringen könnte, ist fraglich. Dennoch sollte sich Seehofer nicht zu sicher fühlen. Was zu Zeiten von Franz Josef Strauß anstandslos durchging, ruft heute unter Umständen den Staatsanwalt auf den Plan. Zudem könnte das Bundestagspräsidium zum Ergebnis kommen, dass die Studien zumindest in Teilen eine verdeckte Finanzierung der CSU waren. In jedem Fall dürfte die Affäre das ohnehin ziemlich angeschlagene Verhältnis zwischen CSU und FDP in Bayern weiter beschädigen. Die Liberalen trauen dem Koalitionspartner ohnehin immer weniger über den Weg. Die Umfragen-Affäre bestätigt nun ihre Einschätzung, dass die CSU ein doppeltes Spiel betreibt und die Spielregeln für ein Regierungsbündnis nicht wirklich ernst nimmt. Es ist dieses enorm gewachsene Misstrauen, das Horst Seehofer letztlich mehr zu schaffen machen könnte als die Affäre selbst.

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