Wie Richter den Weg für Korruption bereiten

Washington

Washington. Dem Donnergrollen von Massachusetts folgen potenziell tödliche Blitze aus dem Supreme Court, dem obersten US-Gericht: Kaum hatten die Demokraten durch die Schlappe bei der Nachwahl im Nordosten ihre strategische 60-Stimmen-Mehrheit im Senat verloren, trifft sie nun auch noch ein Urteil zur Wahlkampf-Finanzierung, das den politischen Wettbewerb in den USA dauerhaft zu verzerren droht. Experten sprechen zu Recht von einem historischen Urteil. Denn das Gericht hob jetzt die Beschränkungen für die Finanzierung von Wahlkämpfen auf, die bis ins Jahr 1907 zurückreichen. Damals drängte der Kongress den politischen Einfluss der Industrie zurück. 1947 folgten weitere Auflagen, die schließlich in der Reform von 2002 mündeten. In unzähligen Entscheidungen hatte der Supreme Court das Recht der Gesetzgeber bekräftigt, den Einfluss von Wirtschaftsspenden im politischen Prozess zu regulieren. Mit seiner Rolle rückwärts ignoriert das Gericht nun nicht nur die geltende Rechtsprechung. Es greift aktiv in die Politik ein und öffnet die Tore weit für Korruption jeder Art. Schon bei den Kongresswahlen im Herbst können Firmen, Verbände und wohlhabende Bürger gezielt für einzelne Kandidaten werben - oder mit Kampagnen solche ins Visier nehmen, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen. Vor allem für die Demokraten wäre dies verheerend, versuchen sie doch gerade, von Detroit bis an die Wall Street neue ökonomische Spielregeln aufzustellen.Der bedenkliche Einfluss des Geldes auf Wahlen in den USA gehört selbst unter den bislang geltenden Einschränkungen zu den oft beklagten Schwächen des politischen Prozesses. Eine klar geregelte Finanzierung der Wahlkämpfe aus der Staatskasse fehlt, Deshalb verbringen Kandidaten auf allen Ebenen schon heute viel zu viel Zeit damit, Geld bei Dritten locker zu machen. Die geltenden Auflagen konnten privat finanzierte Schmieren-Kampagnen wie die gegen John Kerry 2004 oder gegen John McCain vier Jahre zuvor nicht verhindern. Aber sie erschweren solche Auswüchse immerhin. Doch die Verfassungsrichter argumentieren nun, ein Unternehmen habe den gleichen Anspruch auf freie Meinungsäußerung wie eine Einzelperson. Alles andere sei staatliche Zensur. Dies widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Sind Unternehmen doch rechtliche Konstrukte, die einem einzigen Ziel dienen: Geld zu verdienen. Ihnen im politischen Raum die gleichen Rechte zuzusprechen wie den Bürgern, verletzt den egalitären Anspruch der US-Verfassung. Die Minderheit am Supreme Court und wichtige Kommentatoren werten das Urteil zu Recht als Schlag gegen die Demokratie. Auch Präsident Barack Obama erkennt die Gefahr: Er drängt Senat und Repräsentantenhaus, im Eiltempo für neue Regeln zu sorgen. Der Kongress könnte unter anderem Zuwendungen von Unternehmen verbieten, die ihre Profite überwiegend im Ausland machen. Denkbar wären auch Auflagen für Firmen, die Staatsaufträge erhalten. Außerdem ließe sich über ein Mitspracherecht der Aktionäre nachdenken. Und schließlich könnten die Unternehmens-Chefs dazu gezwungen werden, in politischen Werbe-Spots persönlich aufzutreten.Scheitert der Kongress an dieser Aufgabe, dann dürften schon bald die Lobbyisten der Ölkonzerne, der Banken, der Versicherungsriesen und anderer mächtiger Interessengruppen in Stellung gehen, um die Wahlkampf-Töpfe mit ihren Millionen zu fluten. Der Verlierer stünde heute schon fest: die Integrität der amerikanischen Demokratie.

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