Analyse Wie die Genossen wieder Wahlen gewinnen wollen

Dortmund · Kaum einer nimmt Notiz von der SPD. Ein Genosse in bunter Verkleidung singt Lieder gegen Neonazis. Doch die Leute in der Fußgängerzone gehen vorbei – ausgerechnet im Innern der einstigen sozialdemokratischen Herzkammer, auf dem Dortmunder Willy-Brandt-Platz.

02.09.2020, Nordrhein-Westfalen, Neuss: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Parteivorsitzende der SPD, stehen während ihrer Sommerreise beim Besuch einer Wahlkampfveranstaltung des Bürgermeisters nebeneinander. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

02.09.2020, Nordrhein-Westfalen, Neuss: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Parteivorsitzende der SPD, stehen während ihrer Sommerreise beim Besuch einer Wahlkampfveranstaltung des Bürgermeisters nebeneinander. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

An der Egal-Stimmung kann auch die Anwesenheit von Dortmunds SPD-Oberbürgermeisterkandidat Thomas Westphal und von Norbert Walter-Borjans nichts ändern. Der Parteichef ist extra zum NRW-Kommunalwahlkampf angereist. Wo stehen die Sozialdemokraten zehn Tage vor den für sie so wichtigen wie heiklen Wahlen – und ein Jahr vor der Bundestagswahl?

Lange ist es her, dass der legendäre SPD-Fraktionschef Herbert Wehner das Bild von der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ prägte. Damals hieß es, die SPD könne einen Besenstiel aufstellen –  trotzdem gewinne sie die Kohle- und Stahlstadt. Schon seit 1999 aber holt die CDU bei den NRW-Kommunalwahlen landesweit regelmäßig die meisten Stimmen. Rot-Grün wurde 2017 im Land abgewählt. 

Was ist die Identität der SPD im Spätsommer 2020? Seit der überraschenden Eroberung der Chefsessel in der Berliner Zentrale im Dezember bemühen sich Saskia Esken und Walter-Borjans um ein Update des Kleine-Leute-Images der Partei. In Düsseldorf besucht Walter-Borjans nicht die noblen Vorzeigeviertel – sondern den Rohbau eines Hauses für 42 Sozialwohnungen. Von den Kosten in Höhe von 9 Millionen Euro kommen 5,7 Millionen von Stadt und Land. Walter-Borjans sagt, Hilfe bräuchten die Stadtviertel, „wo die Leute, die hier einziehen, die große Mehrheit sind“. Auf seiner Wahlkampftour wehrt sich der einstige NRW-Finanzminister auch nicht, wenn er als früherer „Robin Hood“ gegen reiche Steuerbetrüger gelobt wird.  Esken und Walter-Borjans werden nicht müde, die Erfolge der SPD in der großen Koalition zu betonen. Entfacht Berlin anders als bei den allermeisten Wahlen der jüngeren Vergangenheit sogar etwas Rückenwind für Kandidaten vor Ort?

Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz, so freut man sich in der SPD, zeigt in der Corona-Krise seine Fähigkeiten als Krisenmanager. Sehr stolz ist man im Berliner Willy-Brandt-Haus auch nach knapp vier Wochen noch, dass Scholz’ Nominierung als Kandidat ohne Streitereien und Durchstechereien vonstattenging.

Bei der Kür für den Parteivorsitz im vergangenen Jahr waren Scholz und das Duo Esken/Walter-Borjans noch Gegner – ist das die Aufstellung, die die SPD nun wieder nach vorne bringen kann? „Ein Rheinländer, ein Hanseat, eine Schwarzwälderin“, sagt Walter-Borjans, das sei doch eigentlich eine Traumkombination.

In Neuss gelingt den Wahlkämpfern eine lebendige Straßenszene. Dafür sorgen vor allem eine Reihe teils junger SPD-Kandidatinnen und -Kandidaten für den Stadtrat als Publikum. Eine von ihnen fragt Esken, wie sie und „Nowabo“ mit der Kritik und der Skepsis umgegangen seien, die ihnen zum Amtsantritt entgegenschlugen. „Manchmal muss man sich erst durchbeißen“, sagt Esken. Tatsächlich sind die teils hämischen Kommentare verstummt, die vor allem Esken anfangs entgegengeschlagen waren – vor allem aus der SPD selbst.

Doch reicht das alles, um wieder beim Wähler zu punkten? Bundesweit kommt die SPD in Umfragen weiter nicht über 14 bis 17 Prozent hinaus. CDU/CSU liegen bei 36 bis 38 Prozent. Die Grünen erscheinen mit 17 bis 19 Prozent aber einholbar. Nun setzen die Genossen darauf, dass die Zustimmung für die Union bröckelt, wenn diese ihren Kanzlerkandidaten  aufstellt. Denn erst dann werde vielen Menschen im Land so richtig klar, dass die beliebte Angela Merkel nach 2021 nicht mehr Kanzlerin sein wird. Merkels nahendes Ende als Regierungschefin nährt die Hoffnung der SPD-Strategen derzeit am meisten.

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