Wenn der Glaube zum Propaganda-Mittel wird

Washington. Manchmal greift Barack Obama im Flugzeug zum Telefon und ruft einen Pastor seines Vertrauens an, um sich auszusprechen und dann gemeinsam zu beten: der US-Präsident in 30 000 Fuß Höhe, in einer Kirche in Chicago oder Orlando sein geistlicher Beistand

Washington. Manchmal greift Barack Obama im Flugzeug zum Telefon und ruft einen Pastor seines Vertrauens an, um sich auszusprechen und dann gemeinsam zu beten: der US-Präsident in 30 000 Fuß Höhe, in einer Kirche in Chicago oder Orlando sein geistlicher Beistand. Gelegentlich greift er morgens, bevor die Verantwortung seines Amtes auf ihn einstürzt, zum Blackberry und liest spirituelle Texte auf dem kleinen Display des Mobilfunkgeräts. Es ist ein Glaube, der im Stillen praktiziert wird. Während sich viele seiner Vorgänger beim Kirchgang von TV-Kameras begleiten ließen, trägt Obama sein Christentum ungern öffentlich zur Schau. Auch in der traditionellen "Kirche der Präsidenten", der St. John's Episcopal Church nur wenige Schritte vom Weißen Haus entfernt, hat er keine spirituelle Heimstatt gefunden. Zu groß sei seine Sorge, so ließ der Methodist erkennen, dass der Trubel um den Einzug der "First Family" die Gläubigen in ihrer Andacht stören könnte. Jetzt zahlt Obama einen hohen Preis für seinen im Privaten gehaltenen Glauben. Aus seinem Urlaub an der US-Ostküste musste er ein offizielles Dementi seines Pressestabs veranlassen: Nein, der Präsident sei kein Moslem, sondern praktizierender Christ - und er bete auch täglich. Die ungewöhnliche Klarstellung wurde erzwungen vom Trommelfeuer konservativer Talkshow-Gastgeber und Kommentatoren. Auslöser waren Obamas Äußerungen zum geplanten Moschee-Bau unweit von Ground Zero, dem Schauplatz der verheerenden Anschläge vom 11. September 2001. In der vergangenen Woche hatte er den Plänen der New Yorker Muslime zumindest seinen verfassungsrechtlichen Segen gegeben. "Jeder hat das Recht, seine Religion frei zu praktizieren", betonte er. Und obwohl der Präsident angesichts schäumender Kritiker bereits einen Tag später zurückruderte, sieht er sich nun wieder mit jenen hartnäckigen Gerüchten konfrontiert, die ihn schon während des Wahlkampfs begleitet hatten. Vom "Imam Barack Hussein Obama", der heimlich zu Allah bete, sprach zuletzt einer der prominentesten Radio-Moderatoren, Rush Limbaugh. Der Medienmann ist bekennender Sympathisant der Republikaner. Die Kampagne fällt auf fruchtbaren Boden: Nach einer aktuellen Umfrage glaubt fast jeder fünfte Amerikaner, der Präsident sei Moslem. Eine Studie des "Time"-Magazins sieht die Zahl der Zweifler sogar bei 24 Prozent. Befragt, woher man dieses vermeintliche Wissen habe, antworteten erstaunliche 60 Prozent: aus den Medien. Denn notorische Verschwörungs-Propagandisten lassen nicht locker. Mit Verweis auf seinen Mittel-Namen "Hussein" behaupten sie fälschlicherweise, Obama habe seinen Amtseid auf den Koran und nicht auf die Bibel geschworen. Auch das vom Präsidenten veranstaltete Ramadan-Dinner im Weißen Haus wird gern thematisiert - ohne allerdings zu erwähnen, dass die Tradition dieses Abendessens schon von George W. Bush praktiziert wurde. Der Präsident wird, dies steht zu erwarten, den Gerüchten nicht mit Aktionismus begegnen und seinen Glauben jetzt plötzlich in die Öffentlichkeit tragen. Er wird weiter an religiösen Veranstaltungen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen teilnehmen. Und zusammen mit Gattin Michelle und den Töchtern Sasha und Malia wird Barack Obama wahrscheinlich auch künftig vor allem dort beten, wo keine Kamera, kein Mikrofon die Andacht stört: in der privaten Kapelle des Wochenendhauses in Camp David.

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