Wenn Armee und Regierung um die Macht streiten

Ankara. Isik Kosaner hat es geschafft. Ende August wird der General seinen Posten als Chef der türkischen Armee antreten. Damit wird der 64-Jährige einer der mächtigsten Männer des Landes. In einem Land, in dem die Armee in den letzten 50 Jahren vier Regierungen von der Macht verdrängte, hat das Wort der Militärs nach wie vor Gewicht

Ankara. Isik Kosaner hat es geschafft. Ende August wird der General seinen Posten als Chef der türkischen Armee antreten. Damit wird der 64-Jährige einer der mächtigsten Männer des Landes. In einem Land, in dem die Armee in den letzten 50 Jahren vier Regierungen von der Macht verdrängte, hat das Wort der Militärs nach wie vor Gewicht. Doch Kosaner wird wohl nicht ganz so frei schalten und walten können wie seine Vorgänger. Nach und nach schwindet die politische Macht der Generäle. Ob sie das kampflos hinnehmen, ist noch nicht klar. Nominiert wurde Kosaner, der wie die meisten hochrangigen Generäle der türkischen Armee einen Teil seiner Laufbahn auf Nato-Posten im Ausland verbrachte, jetzt bei der jährlichen Sitzung des Hohen Militärrates (YAS) in Ankara. Dort entscheiden die türkischen Militärs über die wichtigen Personalfragen der Armee. Traditionell haben die Zivilisten dabei nicht viel mitzureden, auch wenn der Ministerpräsident den YAS-Vorsitz innehat: In der Türkei werden Top-Generäle nicht von den Politikern ernannt, sondern von der Armee selbst ausgeguckt. So steht schon jetzt mehr oder weniger fest, dass Kosaner nach Erreichen der Altersgrenze in drei Jahren von General Hasan Igsiz abgelöst werden wird. Doch die heile Welt der militärischen Karriereplanung wird derzeit heftig erschüttert. Vor zehn Tagen erließ ein Istanbuler Schwurgericht Haftbefehle gegen insgesamt 102 aktive und pensionierte Offiziere, die an einem Putschplan gegen die Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan beteiligt gewesen sein sollen. Unter den Beschuldigten sind elf Generäle, die bei der derzeitigen YAS-Sitzung eigentlich befördert werden sollten. Nun verlangen Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül von den Militärs, auf die Beförderung der Verdächtigen zu verzichten. Das ist unerhört in der Türkei. Gül hat - zumindest theoretisch - die Macht, gegen die YAS-Entscheidungen sein Veto einzulegen. Bisher hat dies noch kein Präsident gewagt, doch soll Gül dem scheidenden Armeechef gegenüber genau diese Absicht angedeutet haben. Noch ist unklar, wie die Militärs reagieren werden, offiziell verkündet werden die YAS-Beschlüsse erst am kommenden Donnerstag. Die Generäle betrachten die diversen Putschvorwürfe gegen Offiziere, die in den vergangenen Monaten ruchbar wurden, als Teil einer Hetzkampagne gegen die Armee. Dahinter steckt nach Meinung vieler Militärs die Erdogan-Regierung, die von den Generälen als staatsfeindlicher Islamistenverein betrachtet wird. Doch viel Spielraum haben die Militärs momentan nicht. Wenn der Generalstab die Bedenken der Zivilisten gegen die Beförderungen ignoriert, riskieren die Generäle einen weiteren Ansehensverlust der Armee: Schon jetzt warnt ein Teil der Presse, unter Putsch-Verdacht stehende Offiziere dürften nicht auch noch belohnt werden. Laut der Zeitung "Milliyet" ist als Kompromiss eine vorläufige Amtsverlängerung der Putsch-Beschuldigten ohne Beförderung oder Degradierung im Gespräch. Eine endgültige Entscheidung über ihre Karriere fiele dann erst in gut einem Jahr. Selbst dies wäre aber am Ende eine Niederlage der Armee im Machtkampf mit der Regierung. Denn eine solche Lösung wäre ein unausgesprochenes Eingeständnis der Generäle, dass Personalentscheidungen der Armee nicht mehr unabhängig von Regierung und Justiz getroffen werden können.

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