Weltpolizist auf dem Rückzug

Meinung · Die Supermacht USA hat ein verschlanktes, strategisch neu ausgerichtetes Verteidigungskonzept, und Präsident Barack Obama höchstpersönlich stellte es gestern vor. Das allein zeigt die Bedeutung der damit verbundenen Einschnitte. Amerika, das sich nach den Attacken des 11

Die Supermacht USA hat ein verschlanktes, strategisch neu ausgerichtetes Verteidigungskonzept, und Präsident Barack Obama höchstpersönlich stellte es gestern vor. Das allein zeigt die Bedeutung der damit verbundenen Einschnitte. Amerika, das sich nach den Attacken des 11. September fast ein Jahrzehnt lang zwei sündhaft teure Kriege im Irak und in Afghanistan leistete, kommt angesichts der überbordenden Schuldenlast und der in diesem Jahr erneut drohenden Zahlungsunfähigkeit an einer Kurskorrektur nicht mehr vorbei. Das hat spürbare Konsequenzen auch für die europäischen Verbündeten.Zum einen soll die Zahl der in Europa stationierten US-Soldaten erneut um mehrere tausend GIs sinken, was für die betroffenen Standorte - möglicherweise auch in Deutschland - nicht folgenlos bleiben wird. Europa bleibt damit für die USA ein Rückzugsfeld. Zudem begrenzt dies die Fähigkeit und die Bereitschaft Washingtons, schnell auf regionale Konflikte wie zuletzt in Libyen zu reagieren. Die Konzentration der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum, die Obama gestern erneut hervorhob, ist dem wachsenden Einfluss Chinas geschuldet. In der Folge steigt der Druck auf die Nato-Partner, sich bei Krisen in der näheren Nachbarschaft stärker zu engagieren - wie dies Frankreich und Großbritannien bereits beim Libyen-Einsatz taten. Der Friedens-Nobelpreisträger Obama verbirgt dabei hinter dem Begriff "Verschlankung" geschickt die Nachricht, die sich schon seit längerem abzeichnete: Der Weltpolizist USA wird künftig immer weniger für militärische Konfliktlösungen zur Verfügung stehen, die Aufgaben und möglichen Lasten auch für Berlin dürften dadurch langfristig größer werden.

Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Mitteilung, dass die USA künftig nicht mehr bereit sind, zwei Bodenkriege gleichzeitig zu bestreiten. Stattdessen sollen Luftschläge und die bei Menschenrechts-Organisationen umstrittenen ferngesteuerten Drohnen-Einsätze offenbar größere Bedeutung bekommen. Mit dieser Neuausrichtung kommt Obama im Wahljahr auch jenen an der Basis seiner Partei entgegen, die seit langem eine Überforderung der US-Truppen beklagen.

Angreifbar macht sich der angesichts des Kostendrucks durchaus realistische Präsident allerdings aus Sicht der Republikaner, deren Kandidaten für das Weiße Haus sich bald auf das neue Militärkonzept und vor allem auf die massiven Einsparungen einschießen dürften. Denn Fragen drängen sich vor allem angesichts der neuen Doktrin auf, die Abstriche an der zeitgleichen Bewältigung mehrerer Konfliktherde macht. Welche Botschaft wird damit in Richtung der unberechenbaren Regime im Iran und in Nordkorea gesandt? Hier gibt es, will man diese Despoten nicht ermuntern, noch jede Menge Erklärungsbedarf.

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