Was zulässig ist, muss politisch nicht klug sein

Saarbrücken · Das Spannungsverhältnis zwischen Fraktionsdisziplin und dem freien Mandat eines Abgeordneten füllt Lehrbücher und beschäftigt juristische Proseminare. Nun liefert ein neuer Fall Diskussionsstoff: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Funk soll auf Geheiß der Unions-Fraktionsspitze nicht mehr im Haushaltsausschuss sitzen – weil er in der Euro-Politik mehrfach gegen die Linie der Fraktion gestimmt hatte.

Ist diese Personalie ein Verstoß gegen die Grundgesetzbestimmung, wonach Abgeordnete "nur ihrem Gewissen unterworfen" sind? Das zumindest legte Funk in einer ersten Reaktion nahe.

Rein juristisch betrachtet liegt der Fall nach Ansicht von Experten anders: Das Grundgesetz schütze einen Abgeordneten nicht vor den politischen Risiken seines Verhaltens - nicht in der Wählerschaft, nicht in seiner Fraktion. "Es ist die autonome Entscheidung der Fraktionen, wen sie in die einzelnen Ausschüsse schicken wollen. Umgekehrt hat der einzelne Abgeordnete kein Recht darauf, einem ganz bestimmten Ausschuss anzugehören", sagt der Leipziger Verfassungsrechtler Christoph Degenhart. Nach Ansicht der Politikprofessoren Werner Patzelt (Dresden) und Axel Misch (Trier) hat eine demokratisch legitimierte Fraktionsspitze das Recht, für die Ausschüsse Abgeordnete auszuwählen, denen sie vertraue.

Dieser Ansicht liegt ein bestimmtes Parlamentarismus-Konzept zugrunde. Danach verhält es sich mit einer Fraktion wie mit einer Sportmannschaft: Beide werden nicht durch Zwang, sondern durch Disziplin und Solidarität zusammengehalten. Abgeordnete sind bereit, sich bei abweichenden Meinungen ihrer Fraktion zu beugen, weil diese sie im Gegenzug an der Willensbildung beteiligt. Fraktionsdisziplin - zur Not durchgesetzt mit politischem Druck - ist in diesem Modell nicht nur legitim, sondern geradezu erforderlich für handlungsfähige Mehrheiten. Das freie Mandat garantiert dem Abgeordneten jedoch, dass er sich dem Druck nicht beugen muss.

Das völlige Gegenteil wäre ein Parlament mit Abgeordneten als politischen Einzelkämpfern (der Staatsrechtler Josef Isensee sprach abschätzig einmal von "gesinnungsethischen Autisten"), die ohne Rücksicht auf Fraktion und parlamentarisches Machtgefüge agieren, nur ihrem Gewissen gehorchend. Fraktionsdisziplin und politischer Druck sind hier des Teufels. In der Wissenschaft vertritt eine deutliche Mehrheit nach Mischs Ansicht das (in der Bevölkerung unpopuläre) erste Modell. Dort gilt es sogar als legitim, wenn eine Fraktion während der Legislaturperiode Abgeordnete aus einem Ausschuss abzieht, wenn sie nicht die Fraktionslinie vertreten. Die SPD-Fraktion tat dies 1971/72 mit zwei Gegnern der Ostverträge und löste damit unter Forschern einen Streit aus.

Wie der Fall Funk einzuschätzen ist, sei keine Frage der Rechtmäßigkeit, sondern eine "Frage der politischen Klugheit", sagt Misch. War es klug, zumal angesichts der großen Mehrheit der Koalition, einem Kritiker der Euro-Politik den Sitz im Haushaltsausschuss zu verweigern? Jurist Degenhart findet es "bedauerlich, wenn auf diese Weise kritische Stimmen an den Rand gedrängt werden". Und der Parlamentarismus-Forscher Patzelt meint gar, es stelle sich die Frage, ob die Unionsfraktion die Meinungen in ihrer Wählerschaft zum Euro noch angemessen repräsen tiere.

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