Was Löw gegen Italien falsch gemacht hat

Saarbrücken. Nach dem 1:2 gegen Italien fühlen wir uns wie Kleinanleger, denen die Finanzkrise in einer Sekunde alles genommen hat. Aus, vorbei, alles weg. In solch emotionalen Momenten neigt der Bundesbürger dazu, alles schlecht zu reden: Joachim Löw, Lukas Podolski, die Abwehr, die Taktik

Saarbrücken. Nach dem 1:2 gegen Italien fühlen wir uns wie Kleinanleger, denen die Finanzkrise in einer Sekunde alles genommen hat. Aus, vorbei, alles weg. In solch emotionalen Momenten neigt der Bundesbürger dazu, alles schlecht zu reden: Joachim Löw, Lukas Podolski, die Abwehr, die Taktik. War aber tatsächlich alles schlecht - oder ist uns nur so schlecht, weil wir wegen des erneut durchlebten Italien-Traumas nicht mehr bei Sinnen sind?Die Analyse des Spiels beginnt mit der Taktik. Trainer Joachim Löw hatte Mario Gomez für Miroslav Klose gebracht, Lukas Podolski für André Schürrle und Toni Kroos für Marco Reus. Kroos sollte Italiens Mittelfeld-Ass Andrea Pirlo bewachen und zog daher zu oft in die Mitte, weshalb die rechte Seite gänzlich verwaiste. Jérôme Boateng musste folglich Rechtsaußen spielen, und weil Podolski auf Links wie eine Karikatur seiner selbst agierte, kam in der ersten Halbzeit kein deutsches Offensivspiel zu Stande. In diesem taktischen Wirrwarr hatte auch Mesut Özil wenig "Zugriff" aufs Spiel - nach 45 Minuten war der Eindruck entstanden, dass er nicht mal wusste, wie es steht. Und Gomez? Er bekam kaum verwertbare Bälle, war ein Opfer des Systems. Löws Rotationen verunsicherten zudem die Abwehr: Mats Hummels verlor vor dem 1:0 einen Zweikampf im Stile eines E-Jugend-Spielers. Und beim 2:0 irrte Philipp Lahm hinter den Manndeckern herum, musste Balotelli ziehen lassen. Eine schwache Vorstellung.

Beinahe skurril erscheint, dass Löws Assistent Hansi Flick vor dem Spiel all diese Wechselspiele sauber begründen konnte. Was der Stab und die meisten Fans zu dem Zeitpunkt aber übersahen: Löw war in die deutscheste aller deutschen Trainerfallen getappt. Er versuchte nicht etwa, das eigene Spiel durchzubringen, sondern richtete seine Taktik, wie im WM-Halbfinale 2010 und im EM-Finale 2008 gegen Spanien, nach dem Gegner aus. Der Trainer selbst glaubte nicht daran, dass seine Jungs auch gegen Italien in der Lage wären, ihr Offensivspiel wie gegen Griechenland aufzuziehen. Dieser fehlende Glaube machte die Deutschen schwach und die Italiener stark. Das gab ihnen den Wink: Hallo, die Deutschen haben Respekt vor uns - zeigen wir ihnen, warum. Dieser strategische Fehler geht mit Löw und seinem Trainerstab nach Hause. Ein Stab, der nach den in den Medien gefeierten Rochaden gegen Griechenland womöglich an seine Unfehlbarkeit glaubte.

Dabei hat die Nationalmannschaft unter Löw noch keinen Titel gewonnen. Was wir sehen, ist eine Konjunktiv-Mannschaft. Ein Team, das Großes leisten könnte, es bisher aber nicht schaffte. "Löw muss weg", postulieren nun nicht Wenige und verkennen dabei die emotionale Grenzsituation, aus der ihre Rücktrittsforderung entsteht. Sechs Jahre lang wurden wir alle bis zum Anschlag mit Optimismus, Euphorie und Titelträumen vollgepumpt. Diese Blase ist nun geplatzt. Nach einem Sturz aus solcher Fallhöhe fällt es schwer, Löws Leistungen anzuerkennen: Er hat Strukturen geschaffen, um die uns die Fußballwelt beneidet, und ermöglicht, dass die DFB-Elf 15 Pflichtspiele in Folge gewonnen hat. Das ist Weltrekord. Das 16. Spiel ging dann wegen seines Taktikfehlers gründlich schief. Daraus muss Löw lernen dürfen. Und wir müssen lernen, dass Sätze mit den Worten "Potenzial", "jung" und "Perspektive" zwar richtig sind, aber keine Versprechen enthalten. Sie können fernab der Emotionen nur eines: Chancen umreißen. Die Möglichkeit des Scheiterns ist dabei inbegriffen.

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