Warum wir den "sozialen Kapitalismus" brauchen

Saarbrücken. Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat einen Prozess ausgelöst, der das globale Leben umstülpt wie nichts zuvor seit dem zweiten Weltkrieg. Bis jetzt wurden nach Berechnungen der Asiatischen Entwicklungsbank bereits 50 Billionen Dollar (fast 40 000 Milliarden Euro) Kapital vernichtet

Saarbrücken. Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat einen Prozess ausgelöst, der das globale Leben umstülpt wie nichts zuvor seit dem zweiten Weltkrieg. Bis jetzt wurden nach Berechnungen der Asiatischen Entwicklungsbank bereits 50 Billionen Dollar (fast 40 000 Milliarden Euro) Kapital vernichtet. Ganze Volkswirtschaften stehen am Abgrund, in Europa vor allem Island, Irland, Lettland, Ungarn, Griechenland, selbst Großbritannien ist akut bedroht. Deutschland kam bislang glimpflich davon, doch die Probleme häufen sich. Bis heute ist die Frage nicht beantwortet, wer oder was diese Katastrophe verschuldete: menschliches Fehlverhalten? Die allgemein akzeptierte Toleranz der Gier? Oder war es "das System", der kalte Kapitalismus? Karl Marx hatte ihn beschrieben, die Sowjet-Republiken entwickelten im Kampf gegen die Philosophie des freien Marktes enorme Abwehrkräfte und setzten den Sozialismus dagegen. Wie wir wissen, hat diese Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung jämmerlich versagt und Abermillionen Menschen Armut, Unfreiheit und oft sogar den Tod gebracht. Im "goldenen Westen" mit dem "richtigen System" hingegen gedieh die Wirtschaft prächtig und brachte der Bevölkerung nie gekannten Wohlstand. Der Kapitalismus, so schien es, triumphierte auf der ganzen Linie. Nun aber wird das System der schrankenlosen Freiheit mit seiner hyperkomplexen Finanz-Architektur zunehmend in Frage gestellt. Der internationale Kapitalverkehr ist derart ineinander verwoben, dass er sich fast selbst stranguliert: Weltweit schnappen Banken und Bürger nach Luft, weil die Amerikaner seit den 80er Jahren in Saus und Braus (und auf Pump) lebten. Am Ende wurden Hypotheken-Darlehen wie beim "Billigen Jakob" verschleudert. Worauf man, Gipfel der Exzesse, diese faulen Kredite als schön verpackte Giftmüll-Pakete auf Reisen schickte und so weltweit Banken verseuchte. In der Schockstarre schwant manchem Sünder, dass der bisherige Kurs ein Irrweg war. Selbst in der Christen-Union, nach der FDP engagierteste Verfechterin von Deregulierung und Privatisierung, kehrt nachdenkliche Demut ein. "Das freie Spiel der Kräfte, das ist Kapitalismus. Das ist nicht die Welt der Sozialen Marktwirtschaft", sagt CDU-Vize Christian Wulff. "Die CDU ist keine kapitalistische Partei. Sie ist eine Wertegemeinschaft, die nicht nur am Materiellen hängt", sagt sein Kollege Jürgen Rüttgers. Weltweit prophezeien Experten das Ende des Neoliberalismus, während der Ruf eherner Institutionen zerbröselt. So trägt der ehemalige Guru der US-Notenbank, Alan Greenspan, wegen seiner Politik des billigen Geldes Mitverantwortung an der Krise. Und das Mekka des Kapitalismus, die Wall Street, entpuppte sich als Hort gewissenloser Geldgangster. Die Welt lechzt nun nach der richtigen Reaktion. Der Finanzgipfel im April soll den Anfang machen, Konsequenzen sind auch bitter nötig: Weil die Macht des Geldes stärker ist als der Einzelne und die Idee des freien Marktes faszinierend bleibt, bedarf es in zwingender Logik neuer Regeln und eines Wertegerüstes, in dessen Rahmen sich die Akteure bewegen. Dazu gehören Maßnahmen wie "Basel III", also Bedingungen für Eigenkapital und Kreditvergabe. Zudem ein UN-Gerichtshof für Wirtschaftskriminalität, das Zerschlagen von Steuer-Oasen, eine effektive Banken-Kontrolle, strenge Vorschriften für Hedge-Fonds und Manager-Haftung. Vor allem aber ein neues, zeitgemäßes Bewusstsein, das die Politik vorgeben und vorleben muss. Ein Bewusststein, das sich an den Kategorien des Gemeinwesens orientiert und einer Philosophie verpflichtet fühlt, die sich, ja: "sozialer Kapitalismus" nennt.

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