Steuerschätzung Warum Steuern und Beiträge jetzt runter müssen

Meinung · Noch bis vor wenigen Jahren musste der Bundesfinanzminister den Mangel verwalten. Inzwischen jagt ein Rekordüberschuss den nächsten, aber auch der bringt Probleme. Das zeigt sich einmal mehr bei der neuesten Steuerschätzung. Wolfgang Schäuble sucht die Euphorie über die unverhofften Mehreinnahmen zu bremsen, derweil zwischen den Bundestagsparteien geradezu ein Überbietungswettbewerb ausgebrochen ist, wie man die Menschen angesichts der nahenden Bundestagswahl beglücken könnte. Mehr Investitionen, weniger Steuern und Sozialabgaben, aber auch Schulden tilgen, und am besten alles gleich zusammen. Ist das realistisch? Nein. Auch wenn das Milliarden-Plus im Steuertopf gigantisch erscheint, der Staat wird Prioritäten setzen müssen, um mit dem zusätzlichen Geld, das - wohlgemerkt - seine Bürger erarbeitet haben, verantwortungsvoll umzugehen.

Die Notwendigkeit einer spürbaren Entlastung der Bürger steht außer Frage. Denn während die Steuer- und Abgaben-Quellen kräftig sprudeln, macht sich der anhaltende Boom im Portemonnaie vieler Menschen nur mäßig bis gar nicht bemerkbar. Eine vergleichsweise leichte politische Übung wäre hier eine Senkung der Sozialbeiträge. In der Rentenversicherung gilt schon jetzt: Wenn das Finanzpolster ein bestimmtes Maß überschritten hat, muss Geld an die Beitragszahler zurückgegeben werden. Dank guter Konjunktur ist die Rücklage auch in der Arbeitslosenversicherung immer größer geworden. Ende 2016 waren es mehr als elf Milliarden Euro. Einen Mechanismus wie bei der Rentenversicherung sucht man dort aber vergebens. Dabei würden gerade Niedrigverdiener von geringeren Sozialabgaben profitieren. Denn Beiträge zahlen sie auf jeden Fall, Steuern dagegen kaum.

Wer indes ordentlich verdient, der wird feststellen, dass ihm das Finanzamt bei jeder Lohnerhöhung auch immer ein bisschen mehr abverlangt. Weil sich daran seit rund eineinhalb Jahrzehnten gesetzlich nur sehr wenig geändert hat, reicht inzwischen schon das Eineinhalbfache des Durchschnittsverdienstes, um mit dem Spitzensteuersatz in Berührung zu kommen. Von einem Spitzenverdienst kann da jedoch noch längst keine Rede sein. Allein dieses Beispiel illustriert die Überfälligkeit einer großen Steuerreform. Dagegen hätte ein massiver Schuldenabbau wenig Charme, denn die Kreditzinsen sind auf einem historischen Tiefstand, und der deutschen Wirtschaft geht nach allen Prognosen auch in den nächsten Jahren nicht die Puste aus. Und auch der Ruf nach deutlich mehr Investitionen hat seine Tücken. Mancherorts können öffentliche Mittel jetzt schon nicht abfließen, weil die Baukapazitäten praktisch ausgelastet sind.

Bei aller Qual der Wahl - eine frohe Botschaft bleibt auf jeden Fall: Es gibt etwas zu verteilen, wenn man es politisch will. Die meisten anderen europäischen Staaten dürften Deutschland darum beneiden.

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