Warum Irlands Nein auch eine Chance für Europa ist

Saarbrücken. Beim Thema "Europa" hören die Bürger der Europäischen Gemeinschaft (EU) gern weg. Die allermeisten Menschen des riesigen Binnenmarktes interessieren sich nicht für die EU-Institutionen und die Politik der Räte, der Kommission und des Parlamentes

Saarbrücken. Beim Thema "Europa" hören die Bürger der Europäischen Gemeinschaft (EU) gern weg. Die allermeisten Menschen des riesigen Binnenmarktes interessieren sich nicht für die EU-Institutionen und die Politik der Räte, der Kommission und des Parlamentes. Der Grund dafür ist so alt wie die EU selbst: Die Leute verstehen nicht, was in Brüssel und Straßburg wirklich passiert. Sie wissen nicht, wer dort an welchem Rädchen dreht und warum. Sie haben keine Ahnung, was etwa ein hochbezahlter Rumäne namens Leonard Orban, der offiziell "Kommissar für Mehrsprachigkeit" ist, mit seinem steuerfinanzierten Apparat in Europas Hauptstadt eigentlich macht. Das "Nein" der 860000 Irländer zum EU-Reformvertrag, also der abgespeckten EU-Verfassung, hat deshalb eine nahezu wohltuende Logik. Zwar ist es ein Stück weit auch fatal, weil das Projekt Europa insgesamt eine historische Erfolgsgeschichte ist und weil gerade dieser neue "Lissabon"-Vertrag fundamentale Verbesserungen aufweist, da er die EU effizienter und demokratischer machen würde. Doch leider fehlen weiterhin wesentliche Elemente zur Transparenz und "Verbürgerlichung" der supranationalen EU-Politik. Die Bürger fühlen sich immer noch nicht "mitgenommen". Das Votum der Iren ist ein klares D&;jà-vu, denn drei Jahre zuvor hatten schon Franzosen und Niederländer den ursprünglichen Verfassungsvertrag abgelehnt. Und wenn sich die Regenten weiterer Staaten getraut hätten, das Volk über das europäische Regelwerk abstimmen zu lassen, hätten noch mehr ihr blaues Wunder erlebt. Offenbar geht es nicht in die Köpfe der Politiker hinein: Das Europa, das sie selbst wollen, ist nicht das Europa, das die Menschen wollen. Anstatt genau hinzuhören, lassen sie "Brüssel" weiter gewähren als Hort rigider Ordnungspolitiker, als Hüter des reinen Wettbewerbs, als Massenproduzent von "Richtlinien", die das pluralistische Leben des Vielvölker-Bundes EU vom Nordkap bis zur iberischen Halbinsel über einen Kamm scheren und damit das Prinzip der kulturellen Vielfalt aushöhlen. Dabei gibt es ein einfaches Rezept, um die Akzeptanz für Europa drastisch zu erhöhen. Es heißt Steuer-Harmonisierung. Denn alles soll vereinheitlicht werden, Rechte, Pflichten, Regeln, selbst die Zusammensetzung der Marmelade und der Krümmungsgrad der Gurke - nur das Entscheidende nicht: die Steuern. Ohne Steuer-Gleichheit ist fairer Wettbewerb aber nicht möglich. Wie man mit Steuern steuern kann, hat ausgerechnet das "undankbare" Irland exemplarisch gezeigt: Es hat mit seiner extrem niedrigen Abgabenlast zahlreiche Firmen vom Festland auf die Insel gelockt, ihnen (mit EU-Geldern finanzierte) Flächen erschlossen und sich so vom Armenhaus der Gemeinschaft zum kleinen Krösus gemausert. Das aber haben sich Europas Bürger wahrlich anders vorgestellt: Sie wollen den Job-Abbau im eigenen Land nicht auch noch selbst finanzieren. Das "Nein" der Iren kann und muss deshalb auch als (letzte) Chance verstanden werden, endlich die richtigen Lehren aus der anhaltenden Abwehrhaltung der Bürger zu ziehen. Dazu gehört die Verlangsamung des viel zu schnellen Erweiterungsprozesses, die Verlagerung von Kompetenzen von der (zu verkleinernden) Kommission auf das Parlament, die detaillierte und verständlich formulierte Begründung aller Richtlinien, und vor allem die Harmonisierung der Steuern. Wenn die Politiker das schaffen, wird auch das Volk "Ja" sagen. Erst dann ist Europa das, was es eigentlich sein soll: Eine echte Gemeinschaft.

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