Masern und Co. Warum Deutschland eine Impfpflicht braucht

Düsseldorf · Heute sprechen wir über das Impfen, doch zunächst stellen wir uns einen Krankenwagen vor. In den allermeisten Fällen leistet er Gutes, rettet Leben. Doch selbst der umsichtigste Fahrer kann es nicht verhindern, dass er in Verkehrsunfälle gerät.

Warum Deutschland eine Impfpflicht braucht
Foto: dpa/Martin Schutt

Krankenwagen machen überdies Lärm, schleudern Abgase in die Luft und kosten viel Geld. Wollen wir deshalb generell auf sie verzichten? Nein.

Impfungen sind wie Krankenwagen. Vielen Menschen ersparen sie großes Leid, oft auch den Tod. Aber es gibt Leute, die gelegentliche Impfunfälle, Nebenwirkungen oder auch das Ausbleiben von Wirkung generalisieren und kategorisch vom Impfen abraten – aus der Vermutung heraus, dass der Körper schon selbst mit den Viren zurechtkomme.

Vor wenigen Tagen hat die Weltgesundheitsorganisation WHO ein Machtwort gesprochen: Sie hat mangelnde Impfbereitschaft zu den gegenwärtig größten Gesundheitsrisiken der Welt erklärt. Diese drohe die Fortschritte bei der Bekämpfung von Krankheiten zunichte zu machen. Die Verbesserung der Impfbereitschaft gehört deshalb laut WHO zu den vorrangigen Zielen für die kommenden Jahre. Ob die drakonische Ansprache ein Publikum findet? Impfen ist ein Thema, bei dem die unmittelbare Mitwirkung jedes Einzelnen gefragt ist, sofern keine Impfpflicht besteht.

Impfungen verhindern laut WHO jährlich zwei bis drei Millionen Todesfälle. Weitere 1,5 Millionen Menschen könnten gerettet werden, wenn mehr Menschen geimpft würden. Die Gründe für die Impfmüdigkeit sind vielfältig. Welche Folgen das hat, zeigt das Beispiel Masern: Weltweit ist laut WHO die Zahl der Fälle im Jahr 2017 um 30 Prozent gestiegen. Auch in einigen Ländern, die bereits kurz vor der Ausrottung der Krankheit gestanden hätten, gebe es wieder mehr Fälle. Zu einem Anstieg kam es zuletzt auch in Europa: Dort seien im Jahr 2017 genau 23 927 Menschen erkrankt – im Jahr zuvor waren es nur 5273. In Deutschland gibt es ebenfalls immer wieder Ausbrüche.

Eigentlich ist das Masern-Virus ein Hänfling. Auf Desinfektionsmittel reagiert es sofort. Aber die Zeit seiner Aktivität nutzt es wie ein Berserker. Von allen Keimen besitzt das Masern-Virus den höchsten Ansteckungsindex: Von 100 nicht geimpften Leuten, die ein Kranker anhustet, infizieren sich 95. Beim Streptokokken-Typ, der Scharlach auslöst, liegt der Index bei 50, bei Röteln beträgt er 15. Das Desinteresse an Impfungen wird dadurch begünstigt, dass die meisten infizierten Kinder die Krankheit mit ihren typischen Symptomen ohne Komplikation durchlaufen – zuerst melden sich die Zeichen eines grippalen Infekts, danach tritt der typische Ausschlag auf. Ein Teil aber entwickelt eine Bronchitis, eine Entzündung der Lunge oder des Gehirns. Im schlimmsten Fall kommt es zur „subakuten sklerosierenden Panenzephalitis“, einer fulminanten Komplikation im zentralen Nervensystem. Sie endet fast immer tödlich. In den USA liegen die Infektionszahlen dank konsequenter Impfprogramme unter der Nachweisgrenze. Dort versteht keiner, wieso es in Deutschland bei Masern zwar eine Melde-, aber keine Impfpflicht gibt.

Impfgegner monieren gern, dass Impfungen nie einen 100-prozentigen Schutz böten, aber nicht frei von Nebenwirkungen seien. Statistisch ist aber die Komplikationsrate vieler Krankheiten wie etwa Masern nach einem Ausbruch um ein Vielfaches höher als die Nebenwirkungsrate der Impfungen. Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, riskieren nicht nur deren Leben und das anderer Menschen, sondern schaden auch der Solidargemeinschaft. Vielleicht könnte man für diese Klientel die Krankenkassenbeiträge anpassen und aus den Erlösen die Behandlung von Infektionsopfern finanzieren. Das hätte Wirkung. Die letzte wirkungsvolle Maßnahme auf deutschem Boden in diese Richtung war übrigens die Einführung der Impfpflicht in der DDR.

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