Warum der Islam dringend eine Reformation braucht

Saarbrücken · Nach dem Blutbad von Paris sind sich mal wieder alle einig: Man muss dem Islamismus den Boden entziehen. Klingt gut, aber wie macht man das? Nun, man muss zunächst den Boden nüchtern definieren. Und wer keine Scheuklappen trägt, wird schnell merken, dass der Islamismus entgegen offiziellen Beteuerungen durchaus seine Wurzeln im Islam hat.

Papst Franziskus, als oberster Katholik natürlich ebenfalls entsetzt über den Anschlag auf die Meinungsfreiheit, forderte die Gläubigen in aller Welt gestern auf zu beten, "dass der Herr die Herzen (der Grausamen) verändere". Bei allem Respekt, Heiliger Vater, das ist der falsche Ansatz. Viel besser wäre der Versuch, die Köpfe der Verblendeten zu verändern. Denn an den Synapsen im Gehirn kommt es zu den dramatischen Fehlschaltungen, die Menschen zu Mördern machen.

In die Köpfe Verirrter dringen aber nur Botschaften vor, die stärker sind als die Sprüche der Ideologen, die den Islam für ihre Zwecke missbrauchen. Deshalb muss dort angesetzt werden, wo die Missverständnisse entstehen: Das ist der Koran mit seinen irritierenden Suren, und es sind Mohammeds Hadithe mit ihren archaischen Handlungsanweisungen. Die heutigen Schriftgelehrten der islamischen Welt, vor allem an der institutionellen Al-Azhar-Universiät in Kairo, sind aufgerufen, den Koran endlich zeitgemäß zu interpretieren. Selbst der ägyptische Präsident al-Sisi hat (noch vor dem Pariser Attentat) "den moralischen Niedergang des Islam " beklagt und eine "Neuinterpretation" verlangt.

Die beiden anderen abrahamitischen Religionen haben es vorgemacht. Das Judentum war dabei schon immer mehr auf sich selbst konzentriert, der Einfluss der Orthodoxen blieb bislang begrenzt. Und das Christentum hat einen spektakulären Prozess der Aufklärung hinter sich, der in manchen Ländern zur strikten Trennung von Staat und Religion führte. Genau dies fehlt dem Islam des 21. Jahrhunderts: eine Reform(ation) lutherischer Prägung, die den im frühen Mittelalter verhafteten Glauben in die Moderne führt. Was diese Religion braucht, ist eine Neubesinnung, die ihr den aggressiven Unterton nimmt und sie wieder so tolerant und sinnlich macht, wie sie tatsächlich einmal war.

Gewiss sind auch Thora und Bibel nicht modern im Sinn einer Heiligen Schrift 2.0 - auch sie entstanden im Geiste der Urväter und enthalten Formulierungen, die auf naive Siedler in der Maultierzeit gemünzt waren. Aber Thora und Bibel werden heute anders interpretiert als vor 1500 Jahren, und darin unterscheiden sie sich vom Koran . Das ist der Punkt: Eine Religion, die offen dazu aufruft, Ungläubige "zu töten, wo immer ihr sie findet" (Sure 4, 89), die Dieben archaisch die Hand abhacken lässt (Sure 5,38), die Frauen als zweitrangig und die Scharia als konstitutiv betrachtet, macht den Menschen Angst. Für fast 60 Prozent aller Bundesbürger ist der Islam denn auch "eine Bedrohung" (Bertelsmann-Studie) und "passt nicht in die westliche Welt".

Wer das Leben der Menschen in islamischen Ländern betrachtet und den Koran aufmerksam liest, wird somit das Kernproblem erkennen, der britische Philosoph Ernest Gellner hat es formuliert: "Der Islam ist mehr als eine Religion. Er ist der Entwurf einer Gesellschaftsordnung." Eine Ordnung, die bei Bürgern des abendländischen Kulturkreises auf Kritik und Ablehnung stößt, weil sie ihr demokratisch verfasstes Weltbild konterkariert und deshalb nicht akzeptiert wird.

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