Warum China keine Marktwirtschaft sein darf

Saarbrücken · Die Diskussionen um Freihandelsabkommen der EU mit den Vereinigten Staaten (TTIP) und Kanada (Ceta) lassen die Emotionen hochkochen. Im Schatten des hitzig geführten Streits bleibt eine weitere Entscheidung weitgehend unbeachtet, die den Wirtschaftsverkehr zwischen einzelnen Weltregionen noch stärker prägen könnte als TTIP und Ceta: die Frage nämlich, ob und wann die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) der Volksrepublik China den Status einer Marktwirtschaft (Market Economy Status, MES) zubilligen.Dabei geht es vor allem darum, ob dann noch Strafzölle für Importe aus China erhoben werden dürfen oder nicht.

Die deutsche Stahlindustrie etwa befürchtet, dass Produkte aus Fernost überhaupt nicht mehr mit Antidumping-Zöllen belegt werden können. Sie warnt vor einem Import-Tsunami von billigem, weil subventioniertem Stahl. Anti-Subventionszölle wären zwar auch später noch möglich, sie sind aber niedriger als Antidumping-Zölle. Deshalb wollen die EU-Gewerkschaften ebenso wie Lobbyverbände vieler europäischer Industriezweige die MES-Anerkennung Chinas verhindern. Neben der Stahlindustrie und etlichen Stahl-Weiterverarbeitern (Draht, Schrauben, Gießereien) sind das die Solarbranche , die Textil- und die keramische Industrie. Selbst die Fahrrad-Hersteller haben sich dem Protest angeschlossen.

Doch die Zeit drängt. China ist seit 2001 Mitglied der WTO. Und seinerzeit wurde der Volksrepublik versprochen, dass sie nach 15 Jahren den Status einer Marktwirtschaft erlangen kann. Dafür müssen fünf Kriterien erfüllt sein: {bull} Privatisierungsverfahren dürfen nicht staatlich verzerrt werden {bull} kein Regulierungseinfluss auf Unternehmen durch Preiskontrollen oder Benachteiligung in Steuerfragen {bull} diskriminierungsfreies Gesellschaftsrecht mit Internationalen Rechnungslegungs-Standards (IFRS) und Anlegerschutz {bull} wirksames Insolvenzrecht und Verfahren zum Schutz geistigen Eigentums {bull} ein unabhängiger Finanzsektor

2016 ist also das Jahr der Wahrheit, denn Ende Dezember sind die 15 Jahre um. Die Chinesen drängen darauf, dass das Versprechen eingehalten und ihnen der MES-Status zuerkannt wird. "An dernfalls werden die richtig sauer", meint Mikko Huo tari, Forscher am Berliner Mercator Institute for China Studies. Er rechnet damit, dass Peking vor der WTO klagen und umgekehrt mit Dumping-Verfahren für etliche Importe aus Europa drohen wird.

Rund 70 Staaten haben China bereits als Marktwirtschaft anerkannt. Die USA und Kanada stemmen sich dagegen, wollen es sich mit dem Reich der Mitte aber auch nicht verderben. Und die EU-Kommission will noch einmal die Folgen einer MES-Anerkennung Chinas für die europäische Industrie prüfen, ehe eine Entscheidung fällt. So wird taktiert und laviert, während die MES-Gegner ihre Schreckensszenarien an die Wand malen. Sie verweisen auf eine Studie des Economic Policy Institute in Washington, wonach durch die hohen Einfuhren aus China die Produktion in der EU um 114,1 bis 228 Milliarden Euro sinken würde. Dadurch könnten in der Union bis zu 3,5 Millionen Jobs verloren gehen. Die womöglich harte Landung der chinesischen Wirtschaft lasse zudem befürchten, so warnt die Studie, dass wegen der sinkenden heimischen Nachfrage der Exportdruck im Reich der Mitte weiter steigt. Kurz: Die Experten befürchten Schlimmes.

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