Wann tritt Politik in die Pedale?

Das Saarland ist eine Autohoch- und -trutzburg: 600 Autos kommen auf 1000 Einwohner. 2012 hatte Saarbrücken die höchste Pkw-Dichte deutscher Großstädte. 2016 wohl auch. Weil 82 Prozent aller dortigen Haushalte mindestens ein Auto halten, muss man sich (in ländlichen Regionen ist die Lage ähnlich) nicht wundern, dass die Verkehrspolitik in Stadt und Land Autofahrer hofiert: Überall hocken Wähler am Steuer. Wer wollte ihnen ihr Heiligstes abspenstig machen? Nichts prägt Saarbrückens Stadtbild folglich mehr als Autos: Der öffentliche Raum ist zur Nutzfläche des motorisierten Verkehrs verkommen - fließenden wie ruhenden. Saarbrückens Parkplatzflächen sind atemberaubend. 100 000 tägliche Pendler tun das ihre dazu.

Es könnte sein, dass den Vierradfahrern ab heute hier mehr Radfahrer begegnen als sonst. Erstmals macht Saarbrücken bei der vom Städtenetzwerk "Klimabündnis" organisierten Initiative "Stadtradeln" mit, die ab heute drei Wochen lang das Umsteigen aufs Rad propagiert. In keiner deutschen Großstadt ist dieses Umdenken nötiger als hier. Mit einem Radfahreranteil von 1,9 Prozent (so die jüngste Erhebung von 2008) ist das Saarland republikweit absolutes Schlusslicht. Die Gründe sind vielfältig. Schauen wir auf Saarbrücken, der einzigen Stadt hier, die überhaupt ein rudimentäres Radnetz hat. Städte wie Münster, Erlangen, Freiburg machen vor, was hier fehlt: ein durchgängiges, intuitiv erfassbares, auch für Kinder und Senioren verkehrssicheres Wegenetz, das einen nicht vor Rätsel stellt. In Saarbrücken enden Radspuren regelmäßig im Nichts. Oder an der nächsten Kreuzung. Werden Radwege hier nur alibihalber eingezeichnet? Wer Kinder hat, muss risikofreudig sein, um sie alleine radeln zu lassen. Die Stadt zieht lieber die Autofahrer von morgen heran. Dabei wären mehr denn je alle Altersklassen zum Umstieg bereit. Seit es Pedelecs gibt, taugt Saarbrückens topografische Lage (die Hügel!) nicht mehr als Vorwand, verkehrspolitisch die Hände in den Schoß zu legen. Der Radmarkt boomt. Aber nur vier Prozent nutzen es hier. Wo keine Tradition (und kein politischer Wille), da keine Infrastruktur.

In Europas Radhochburgen Kopenhagen, Oslo und Sevilla denken die Leute nicht ökologischer. Vielmehr hat die Politik sie dort ganz pragmatisch gepackt: Mit dem Rad ist man schlicht schneller, merkten die Bewohner. Dass tagtäglich unmotorisiert unzumutbare Strecken zurückzulegen wären, ist ein Märchen. Meistens sind es deutlich unter fünf Kilometer. 280 000 Euro gibt Saarbrücken pro Jahr für Radwege aus. Der ADFC (das Radfahrer-Pedant zum ADAC ) empfiehlt "Einsteigerstädten" acht Euro pro Einwohner - das wären in Saarbrücken 1,4 Millionen Euro im Jahr. Es wäre gut investiertes Geld in die städtische Lebensqualität.

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