Wahlkampf mit der Todesstrafe

Istanbul · Analyse Die Türken werden Mitte April in einem historischen Referendum über das von Staatschef Erdogan seit Jahren gewünschte Präsidialsystem entscheiden.

Für einen Erfolg beim Referendum über die Einführung des Präsidialsystems will Recep Tayyip Erdogan vieles opfern - auch die EU-Beitrittsgespräche der Türkei. Ein Ja zum Präsidialsystem sei der erste Schritt zur Wiedereinführung der Todesstrafe, sagte Erdogan jetzt. Das sei der Volkswille, und was der Westen dazu sage, sei ihm egal. Auch deshalb sollten die Türken am 16. April Ja sagen. Der Wahlkämpfer Erdogan setzt erneut auf Populismus und Polarisierung.

Wie in vielen Kampagnen seiner langen Karriere hat der inzwischen 62-Jährige vor dem Referendum vor allem nationalistische und religiöse Wähler im Blick. Erdogan und seine Regierung stellen die Nein-Anhänger in die Nähe von Terroristen und Separatisten. Unterstützt wird der Staatschef unter anderem von einer Nachfahrin des osmanischen Sultans Abdülhamid II - damit erhält das geplante Präsidialsystem gewissermaßen den Segen des früheren Herrscherhauses.

Auch mit dem Versprechen der Rückkehr zur Todesstrafe, die Anfang des vergangenen Jahrzehnts mit Rücksicht auf die EU abgeschafft worden war, will Erdogan die Rechts-Wähler ködern. Sollte er sein Versprechen einlösen, würde die Türkei damit aus Brüsseler Sicht den demokratischen Grundkonsens verlassen.

Erdogans Kritiker sehen demokratische Grundsätze ohnehin spätestens seit der Reaktion auf den Putschversuch des vergangenen Jahres ausgehebelt. Das Referendum findet unter dem Ausnahmezustand statt, der Polizeiaktionen gegen Regierungsgegner und Verhaftungen erleichtert. Immer neue Verhaftungs- und Entlassungswellen, die auf mutmaßliche Regierungsgegner in der Bürokratie, in den Medien und im Bildungssystem zielen, rollen über das Land. Zuletzt wurden erneut 330 Hochschullehrer entlassen, eine Entscheidung, die teilweise den Lehrbetrieb an den Unis zusammenbrechen ließ. Die Zukunft der Türkei werde aufs Spiel gesetzt, sagen Erdogans Gegner. Der bei vielen Anhängern der AKP immer noch angesehene Ex-Präsident Abdullah Gül kritisierte die jüngsten Entlassungen als "sehr beunruhigend".

Erdogan wendet sich unterdessen den religiösen Wählerschichten zu, die er mit einer besonderen Nachricht beglücken will: Auf dem Taksim-Platz von Istanbul, Symbol des türkischen Säkularismus und Ausgangspunkt der Gezi-Proteste von 2013, soll eine neue Moschee entstehen. Die Bagger sind schon angerückt. Erst kürzlich hatten die Behörden grünes Licht für den Bau des 30 Meter hohen Gotteshauses mit einem Fassungsvermögen von 1000 Menschen gegeben, das dem Taksim-Platz einen islamischen Stempel aufdrücken soll. Architekt Sefik Birkiye hat schon Erdogans protzigen Präsidentenpalast in Ankara gebaut. Allerdings sind nicht alle frommen Muslime mit dem Moschee-Projekt für das Präsidialsystem zu begeistern. Die kleine rechtskonservative Glückseligkeitspartei etwa ruft ihre Anhänger auf, Erdogans Plan abzulehnen. In manchen Umfragen liegt das Ja-Lager zwar über der für den Erfolg entscheidenden 50-Prozent-Marke, in einigen aber auch deutlich darunter.

Diese Ausgangslage erklärt Erdogans Verweise auf Todesstrafe und Moschee. Sie lässt zudem einen äußerst harten Wahlkampf erwarten. Die AKP will nicht mit Optimismus und aktiver Überzeugungsarbeit, sondern mit dunklen Warnungen vor einem Chaos als Folge eines Neins zum Präsidialsystem punkten.

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