Wahl ohne Auswahl in Weißrussland

Minsk · Noch vor kurzem hatte sie vor Studenten gestanden, hatte ihnen etwas über die Psychologie des Menschen erzählt. Schon in dieser Zeit war Tatjana Korotkewitsch immer mal wieder auf die Straße gegangen, hatte sich für die Aktion "Sag die Wahrheit" engagiert, einen Zusammenschluss von Oppositionellen in Belarus, der sich seit 2010 für eine andere Art von Informationen einsetzt als es die staatlich kontrollierten Medien tun.Am Sonntag will Korotkewitsch Präsidentin des Landes werden, das sich jahrelang von Europa abkapselte, seit dem Krieg in der Ukraine aber immer wieder den Schulterschluss mit Brüssel sucht.

Die Wahrheit aber ist: Die 38-jährige Psychologin aus Minsk und wohl die derzeit einzige glaubwürdige Oppositionelle im Land, wird keine Chance haben bei dieser Wahl, die nur auf einen einzigen ausgerichtet ist - Alexander Lukaschenko , "das Väterchen", das das Neun-Millionenvolk mit eiserner Hand regiert. Einen anderen will die Mehrheit dieses Volkes auch gar nicht. Er stehe für Stabilität, er sorge für Souveränität, sagen seine Befürworter. Seit 21 Jahren ist der 61-Jährige an der Macht. Am Sonntag dürften fünf weitere Jahre dazukommen. "Geht doch in den Wald Pilze sammeln, das bringt wenigstens mehr", sagen da einige Kritiker im Land. Auch der kürzlich freigelassene ehemalige Präsidentschaftskandidat Nikolaj Statkewitsch ruft zum Wahlboykott auf, zur letzten Veranstaltung dazu kamen aber nicht einmal 200 Unterstützer.

Die Belarussen haben sich eingerichtet in ihrer politischen Apathie. Vor allem die russische Aggression in der Ukraine hat bei "Russlands kleinem Bruder" Ängste ausgelöst. Lukaschenko hatte die Situation hervorragend für sich genutzt und sich bei den Minsker Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine als Vermittler versucht. Das rechnen viele Belarussen ihm hoch an. Der Spruch "Hauptsache, es ist kein Krieg" spielt im Land seit dem verlustreichen Zweiten Weltkrieg immer noch eine große Rolle. Rhetorisch setzt Lukaschenko voll auf Frieden und Unabhängigkeit, das Vertrauen der Bevölkerung in ihren Präsidenten, so berichtet das unabhängige belarussische Meinungsforschungsinstitut Nisepi, habe sich im Vergleich zu 2011 verdoppelt, auch wenn der belarussische Rubel seit Dezember 2014 um mehr als 40 Prozent gefallen ist und die Arbeitslosigkeit steigt.

Bei der Wahl am Sonntag rechnen die Forscher mit 60 Prozent der Stimmen für den Mann, der stolz darauf ist, "letzter Diktator Europas" zu sein. Allerdings braucht "Luka", wie er vor allem von der Jugend gerufen wird, eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent, sonst ist die Wahl ungültig. In einem Land, in dem der Gang zur Urne von Schulen, Universitäten und Arbeitgebern nahezu erzwungen wird, dürften solche Zahlen kaum ein Problem sein. Mit Widerstand rechnet niemand. Nicht einmal für den Wahltag hat die Opposition zu Demonstrationen aufgerufen. Wie denn auch, wenn sie innerlich zerstritten ist und sich auf keinen gemeinsamen Kandidaten zur Wahl einigen konnte.

So treten neben dem politischen Neuling Korotkewitsch nur noch systemkonforme "Gegenspieler" an: der 61-jährige Rechtspopulist Sergej Gajdukewitsch, der sich bereits 2001 und 2005 vergeblich mit Lukaschenko maß, und der 64-jährige Nikolaj Ulachowitsch, der mit seiner patriotischen Partei keine Kritik an Lukaschenko wagt. In Minsk herrscht ein Wahlkampf ohne Kampf und wartet eine Wahl ohne Auswahl.

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