Wähler über Bord

Meinung · Es ist keine gute Idee, wenn Piraten auf Piraten einprügeln, statt sich auf die nächste Kaperfahrt zu konzentrieren

Es ist keine gute Idee, wenn Piraten auf Piraten einprügeln, statt sich auf die nächste Kaperfahrt zu konzentrieren. Bei der Piratenpartei aber haben halbwegs prominente Gründungsmitglieder wie Marina Weisband ob der aggressiven innerparteilichen Atmosphäre schon entnervt das Handtuch geworfen, der Vorsitzende und der Generalsekretär keilen gegeneinander, und in den Landesverbänden häufen sich Skandale und Skandälchen. Personell hat der Parteitag in Bochum diesbezüglich nur die eine Botschaft gebracht: Die mögen ihre eigenen Leute zwar nicht, haben aber keine anderen und lassen sie deshalb weitermachen.Noch schlechter ist diese Idee: Eine Partei, deren Hauptattraktion ihre völlige inhaltliche Offenheit war, wird mit Inhalten befrachtet, die mal diesen, mal jene abschrecken. Die Piraten verlieren somit ihren Markenkern, noch ehe sie eine Marke sind. Sie haben sich bei ihrem Treffen in Bochum von der Mitmach-Partei für alle zur linksliberalen Internet-Partei für relativ wenige gewandelt. Bedingungsloses Grundeinkommen, Mindestlohn, Mindestrente, Absage an Vollbeschäftigung, ein noch schnellerer Atomausstieg - angesichts dieser Beschlüsse dürfte ein Teil der Wählerschaft, der sich vielleicht bisher überlegt hatte, aus Protest oder Daffke bei der orangefarbenen Truppe sein Kreuzchen zu machen, schon wieder weg sein.

Ein weiterer Teil der Wähler wird von den Formen der politischen Willensbildung abgestoßen werden. Das Fehlen einer Delegierten-Struktur, die langwierigen Detaildebatten, die unübersichtlichen Abstimmungsregeln - der Charme basisdemokratischen Vorgehens wandelt sich hier teilweise zum Recht des Lauteren und Stärkeren, zum Zufallsprinzip. Die etablierten Parteien mögen verknöchert sein, aber dass sie sich im Verlauf vieler Jahre Regeln und Arbeitsformen gegeben haben, die halbwegs effizient funktionieren und halbwegs demokratisch sind, das ist nicht zu bestreiten. Und so dämmert nach Bochum wohl auch manchem potenziellen Wähler, dass keine seriöse deutsche Partei mit Vertretern solch wilder, zufälliger Basisdemokratie nach der Wahl eine Koalition eingehen kann und wird. Dass es den Piraten also einfach an der politischen Kultur fehlt, um ein Land mit zu führen.

Was bleibt, sind die wirklich linksliberal und anarchistisch-basisdemokratisch motivierten Protestwähler, denen das alles egal ist. Ein Kreis, der überschaubar ist. Ein Jahr nach ihrem triumphalen Auftauchen bei Landtagswahlen und ein Jahr vor der Bundestagswahl sorgt der Ruf "Piraten! Piraten!" auf den Meeren deutscher Politik jedenfalls nicht mehr für die ganz große Angst. Manchmal sogar eher für Heiterkeit: Wo schwimmen sie denn heute?

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