VW-Skandal gefährdet EU-Klimaschutzziele

Brüssel · Die VW-Affäre hinterlässt ihre Spuren auch in Brüssel . Zwar bemühte sich Herbert Diess, Mitglied im Vorstand des Wolfsburger Konzerns, dieser Tage in Brüssel , Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska zu beruhigen und zuzusichern, dass der Autobauer alles tun werde, um die Folgen des Skandals in den Griff zu bekommen.

"Wir haben einige Lösungen erarbeitet, insbesondere stehen die Kunden im Fokus im Moment", gab sich Diess einsichtig, nachdem die Kommissarin zuvor deutlich geworden war: "Wir tolerieren keinen Betrug."

Doch die starken Worte können nur unvollkommen darüber hinwegtäuschen, dass Brüssel sehr viel weitergehende Befürchtungen hegt als die Frage, wie Volkswagen durch die Krise kommt. Man bangt um eine der Säulen der europäischen Klimaschutz-Politik: die Abgas-Grenzwerte für Pkw. Derzeit dürfen die Motoren 130 Gramm Kohlendioxid je gefahrenem Kilometer ausstoßen, ab 2020 sind nur noch 95 Gramm erlaubt.

Doch in die Rechnung fließen viele Variablen mit ein - unter anderem ein hoher Anteil von Diesel-Autos, die vergleichsweise wenig CO{-2} abgeben. Voraussetzung dazu aber sind die neuen Abgastests, die die Europäische Union Anfang 2017 in Kraft setzen möchte. Denn schon vor zwei Jahren, als zunächst für Pkw und wenig später auch für Kleintransporter die neuen CO{-2}-Werte verabschiedet wurden, war allen in Brüssel klar: "Die bisherige Praxis der Tests auf Prüfständen hat sich als unzuverlässig erwiesen", schrieb die Kommission 2013. Ein Jahr später urteilte ein Experte: "Wenn wir erst die Tests nach den globalen WLTP-Standards eingeführt haben, werden manchem Käufer die Augen aufgehen. Denn die realistischen Werte liegen deutlich über dem, was derzeit gemessen wird."

Zwischen der EU-Kommission und Bundesverkehrsministerium werden derzeit noch die letzten Details ausgehandelt. Es geht um die Fragen, welche realen Verkehrssituationen bei den künftigen Abgastests einbezogen werden sollen: innerstädtischer Stop-and-Go-Verkehr, Bergfahrten, kurze Strecken mit hoher Last. Experten wissen es längst, in der Europäischen Kommission ahnt man es: Die bereits verabschiedeten Grenzwerte von 95 Gramm sind nur noch schwer zu schaffen - vor allem wenn sich die Verbraucher infolge der VW-Affäre von Diesel-Fahrzeugen abwenden.

Selbst der Branchenverband VDA stellte jetzt fest: "Ohne den Diesel sind die anspruchsvollen CO{-2}-Ziele in der EU nicht zu erreichen." Denn gerade die Hersteller großer Fahrzeuge der Premium-Klasse haben sich bisher darauf verlassen, dass ihnen die Selbstzünder Rabatte einbringen, die sie für höhere CO{-2}-Emissionen schwerer Autos nutzen können und die Abgas-Bilanz im Durchschnitt wieder stimmt. Das Modell gerät ins Wanken.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD ) habe schon, so heißt es in Brüssel , Gespräche mit der Kommission begonnen, um über eine Veränderung der Grenzwerte zu sprechen. Bislang konnten die Auto-Hersteller in Brüssel stets auf ein offenes Ohr hoffen - nicht zuletzt dank schlagkräftiger Lobby-Verbände. Doch von dieser Seite sei es "erstaunlich ruhig" geworden, hieß es gestern in Brüssel . Der VW-Skandal hat alle bis ins Mark getroffen, sogar die bisher so selbstsicher auftretenden Fürsprecher der Auto-Branche.

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