Vorsicht vor hohen Erwartungen

Meinung · Dritter bei der WM 2006, Zweiter bei der EM 2008 und bei der WM 2010 wieder Platz drei. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat wahrlich etwas vorzuweisen. Doch das, so scheint jedenfalls die öffentliche Wahrnehmung zu sein, wird diesmal nicht genügen. Bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, die heute Abend beginnt, soll nichts weniger als der Titel her

Dritter bei der WM 2006, Zweiter bei der EM 2008 und bei der WM 2010 wieder Platz drei. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat wahrlich etwas vorzuweisen. Doch das, so scheint jedenfalls die öffentliche Wahrnehmung zu sein, wird diesmal nicht genügen. Bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, die heute Abend beginnt, soll nichts weniger als der Titel her. Selbst der Fußball-"Kaiser" Franz Beckenbauer sagt: "Diese Mannschaft ist reif für den Titel."Aber ist sie das wirklich? Natürlich wollen wir keine Majestätsbeleidigung begehen. Aber ein bisschen müssen wir die Euphorie bremsen. Denn es sei daran erinnert: Bundestrainer Joachim Löw schickt die jüngste Mannschaft aller 16 Teilnehmer ins Rennen. Eine Mannschaft, die ein Durchschnittsalter von 24,4 Jahren hat - noch jünger als das Team, das bei der WM vor zwei Jahren in Südafrika mit seinem erfrischenden Offensivfußball für Furore sorgte.

Viele Spieler von 2010 sind auch in Polen und der Ukraine dabei, haben in den vergangenen Jahren Erfahrung gesammelt, sind gereift. Mesut Özil zieht die Fäden bei Real Madrid, Manuel Neuer hat sich zum Weltklasse-Torwart entwickelt, Philipp Lahm ist die Zuverlässigkeit in Person. Das schürt große Erwartungen. Doch gerade die Spieler des FC Bayern München, die das Grundgerüst der deutschen Nationalelf bilden, haben eine überaus bittere Saison hinter sich. Vizemeister, Vize-Pokalsieger, Vize in der Champions League - solche Nackenschläge gilt es erst einmal zu verdauen.

Dazu gesellen sich Lukas Podolski, der mit seinem 1. FC Köln abgestiegen ist, Abwehrchef Per Mertesacker, der den Großteil der Rückrunde wegen einer Knöchelverletzung verpasste, und Mittelfeld-Kopf Bastian Schweinsteiger, der eine Saison voller Verletzungen und Dramen hinter sich hat - inklusive dem entscheidenden verschossenen Elfmeter im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea. Dem gegenüber stehen gut gelaunte Dortmunder Nationalspieler, die zwar zwei Titel im EM-Gepäck haben, auf europäischer Ebene aber ordentlich Lehrgeld zahlen mussten.

Die Sehnsucht der deutschen Fans nach dem ersten großen Titel seit der EM 1996 ist berechtigt - sie beruht auf der Begeisterung, die von dieser Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren entfacht wurde. Aber auf dem Weg nach Kiew, wo am 1. Juli das Endspiel stattfindet, warten schon in der Vorrunde mit Portugal und den Niederlanden zwei Mitfavoriten, und auch das letzte Gruppenspiel gegen Dänemark wird sicher kein Selbstläufer. Joachim Löw wird sich einiges einfallen lassen müssen. Denn andernfalls wird der Katzenjammer, wenn das deutsche Team in der Vorrunde hängen bleibt, landauf, landab riesengroß sein.

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