Vor Scham gestorben

Meinung · Generationen von Volontären in deutschen Redaktionen wurde die britische Presse als leuchtendes Vorbild eingebläut. Nun ist der Lack wohl endgültig ab. Reuevoll bezeichnete es Verlagsherr James Murdoch als "unmenschlich", dass die Zeitung seit Jahren die Mailboxen von mindestens 4000 Handys angezapft hatte. Nun kam heraus, dass nicht nur die Handys von Prominenten überwacht wurden

Generationen von Volontären in deutschen Redaktionen wurde die britische Presse als leuchtendes Vorbild eingebläut. Nun ist der Lack wohl endgültig ab.Reuevoll bezeichnete es Verlagsherr James Murdoch als "unmenschlich", dass die Zeitung seit Jahren die Mailboxen von mindestens 4000 Handys angezapft hatte. Nun kam heraus, dass nicht nur die Handys von Prominenten überwacht wurden. Um mit "Exklusiv"-Informationen die Konkurrenz auszustechen, brach die "News of the World" auch in die Mailboxen der Angehörigen gefallener Soldaten, der Opfer von Terroranschlägen und der Familien entführter Kinder ein.

"Vor Scham gestorben", titelte darauf die "Daily Mail" zum Tod ihres Rivalen. Das jähe Ende haben gewiss auch die großen Anzeigenkunden beschleunigt, die ihre lukrativen Aufträge angesichts der öffentlichen Empörung über die "News of the World" Knall auf Fall kündigten.

Bei dem Respekt vor der "ehrwürdigen Times" und dem "liberalen Guardian" vergaß man in der Vergangenheit leicht, dass Großbritannien auch das Mutterland des Krachjournalismus ist. Es gab uns nicht nur die säuberliche Trennung von Nachricht und Kommentar und einen eleganten und flüssigen Stil, sondern Tabulosigkeit, Schmuddel-Sex, hemmungslosen Klatsch, keinerlei Rücksicht auf die private Sphäre, Scheckbuchjournalismus und kriminelle Recherchen.

Solche Sumpfblüten gedeihen am besten im Klima der Pressekonzentration, die in Großbritannien so stark ist wie in kaum einem anderen Land. Es gibt keine Regionalpresse, und was außerhalb Londons erscheint, sind lokale Käseblätter. Im Auflagenkampf der Hauptstadtpresse, die das Königreich dominiert, sind alle Mittel recht. Während deutsche Zeitungen wegen ihres Leserspektrums sich mehr oder minder an parteipolitische Neutralität halten müssen, bekennt sich die britische Presse klar zu einer politischen Partei. Und die Murdoch-Blätter rühmen sich offen, den Konservativen viele Wahlsiege gegen Labour gesichert zu haben.

Auch um die berühmte britische Pressefreiheit ist es nicht gut bestellt. Die Briten empfinden den Presserat, der auf dem Prinzip der Selbstregulierung beruht, als zahnlosen Papiertiger und rufen bei Beschwerden lieber die Gerichte an, die dann auch bei legitimen Recherchen im öffentlichen Interesse der Presse einen Maulkorb verpassen. Kein Vergleich also mit dem Deutschen Presserat, der regelmäßig Rügen erteilt. Künftige Generationen von Zeitungsvolontären sollten die britischen "Tabloids" deshalb als warnendes Beispiel vorgestellt werden. Sie stehen für eine fatale Entwicklung, bei der Information durch Comics für Erwachsene ersetzt wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort