1994 im Bundestag Die Pflegeversicherung – seit 25 Jahren ein Patient

Berlin/Bonn · Schon in der Geburtsstunde der Pflegeversicherung zeigte der zuständige Minister die Grenzen auf. „Ohne hilfsbereite Menschen bleibt jedes Gesetz ein kaltes Gehäuse, eine leerlaufende Maschine“, sagte der CDU-Sozialminister Norbert Blüm vor 25 Jahren im Bundestag – am 22. April 1994. Schon in der historischen Stunde dieser Abstimmung zeichnete sich ab, dass die Pflegeversicherung ein Patient mit chronischen Problemen werden würde.

 Gilt als Vater der Pflegeversicherung: Norbert Blüm (CDU), ehemaliger Arbeits- und Sozialminister.

Gilt als Vater der Pflegeversicherung: Norbert Blüm (CDU), ehemaliger Arbeits- und Sozialminister.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Ein Vierteljahrhundert später leistet die Pflegeversicherung zwar weit mehr, als die Menschen damals ahnen konnten. Doch eine volle Absicherung ist sie bei weitem nicht – und die Baustellen sind riesig. Blüm ist heute 83 und erinnert sich an den Tag der Abstimmung. „Das war der Schlussstein in einem großen Gebäude, das mit viel Anstrengung errichtet werden musste“, sagt er. Dass damit quasi über Nacht alle Probleme gelöst werden könnten, habe er nie geglaubt.

Rückblick: Das Pflegerisiko trugen vor der Einführung des jüngsten Zweigs der Sozialversicherungen Betroffene und ihre Angehörigen – und dann die Kommunen. Von staatlicher Seite war Pflege Sache der Sozialhilfe. Viele sahen den Staat dagegen gar nicht in der Pflicht, der Widerstand gegen die Reform war groß. Doch die Erkenntnis setzte sich durch: Nicht immer mehr alte Leute sollten Sozialhilfeempfänger werden, weil ihre Rente fürs Heim nicht reichte.

Die Pflegeversicherung kam 1995 und markierte einen Einschnitt. Auch, weil sie im Grunde nicht mehr paritätisch finanziert war, sprich je zur Hälfte von Arbeitgebern und -nehmern. Zur Einführung des Pflegebeitragssatzes – anfangs noch ein Prozent des Einkommens – wurde nämlich der Buß- und Bettag als Feiertag gestrichen, um damit die Belastung der Firmen auszugleichen.

Der Bedarf war Mitte der 90er Jahre groß – aber kaum vergleichbar mit heute. Neuland war die Finanzierung ambulanter Pflege zu Hause. 1995 gab es zunächst 1,06 Millionen ambulante Empfänger. Die im Juli 1996 eingeführten stationären Leistungen erhielten zunächst 380 000 Menschen. Die aktuelle Statistik weist 2,5 Millionen Menschen auf, die zu Hause gepflegt werden. Stationär sind es rund 800 000 Millionen. Und alle Prognosen zeigen: Der Bedarf wird deutlich steigen.

Lange war die Pflegeversicherung in den Stufen 1 bis 3 vor allem auf körperlichen Hilfebedarf ausgerichtet. Seit 2017 werden die Bedürftigen in fünf Pflegegrade eingeteilt – neu oder zumindest besser berücksichtigt wird etwa Demenz. Dieser Bereich sei damals noch nicht abzuschätzen gewesen, sagt Blüm. Anfangs habe es überhaupt „keine gesicherten Unterlagen“ zum tatsächlichen Bedarf gegeben.

Für pflegende Angehörige hat sich seither manches verbessert, etwa bei Möglichkeiten der Entlastung. Trotzdem herrscht akuter Pflegenotstand, Fachkräftemangel, eine schlechtere Bezahlung im Vergleich zur Krankenpflege – und steigender Bedarf. Die Zeit drängt auch finanziell. Der Pflegebeitragssatz stieg 2019 um 0,5 Punkte auf 3,05, für Kinderlose auf 3,3 Prozent des Einkommens. Einnahmen von 7,6 Milliarden im Jahr soll das bringen. Laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reicht das Geld bis 2022 – für die Zeit danach will er eine „Grundsatzdebatte“. Auch höhere Eigenanteile fürs Heim schließt er nicht aus.

Für Blüm ist und bleibt die Pflege eine Teilkasko-Versicherung. „Vom lieben Gott wird die Pflegeversicherung nicht bezahlt“, sagt er. „Wenn man mehr Leistungen will, muss man bereit sein, mehr Beiträge zu zahlen.“ Und man müsse „auch mal die Lebenslüge beseitigen, dass die demografische Entwicklung nicht mehr kostet“.

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