Von Liebe keine Spur

Nun wird also endlich losregiert. Fast drei Monate nach dem Wahltag trägt Angela Merkel jetzt die Krone ihrer dritten Kanzlerschaft.

Das haben vor ihr nur Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und Helmut Kohl geschafft. Die Regierungschefin selbst spart nicht mit hehren Worten für ihr weiteres Tun. Das neue Bündnis sei eine "Koalition der großen Aufgaben", sagt sie.

An die erste schwarz-rote Koalition unter Merkel erinnern sich viele Bürger mit Wohlgefallen. Vor allem, weil das Regieren so geräuschlos vor sich ging. Wiederholt sich die Geschichte jetzt? Mit Hassbekundungen à la "Gurkentruppe" und "Wildsau" werden sich Union und SPD jedenfalls nicht überziehen, in den Umgangsformen ist man professionell genug. Dass inhaltlich jedoch ein hartes Ringen zu erwarten ist, steht außer Zweifel. Schon deshalb, weil der Koalitionsvertrag viel rote Tinte enthält, viel mehr jedenfalls, als es das schwache Wahlergebnis der SPD erahnen ließ.

Für Sigmar Gabriel ist es ein Balanceakt. Der Vize-König der neuen Regierung muss politische Verlässlichkeit demonstrieren, aber auch Konflikte riskieren, um die hohen Erwartungen der SPD-Basis zu erfüllen. So pflegeleicht wie beim letzten Mal werden die Sozialdemokraten für die Union also nicht mehr sein. Zwar haben beide Seiten ihren Koalitionsvertrag deutlich sorgfältiger ausgehandelt als zuletzt Union und FDP. Aber es gibt immer noch hinreichend viele Unwägbarkeiten, etwa den Mindestlohn oder die Maut. Und beim Thema Rente könnte es auch ziemlich eng werden.

Was nun die von Merkel beschworene Größe der Aufgaben angeht, so bleiben einige ganz wichtige von vornherein ausgespart. Eine große Steuerreform zum Beispiel ist seit Jahren überfällig. Viele Begünstigungen gehören gestrichen, der Tarifverlauf für die Mittelschicht muss gerechter gestaltet werden. Doch dazu fehlt Schwarz-Rot der Mumm. Auch die demografischen Herausforderungen werden eher verwaltet als gestaltet. Um eine zentrale Bewährungsprobe kommt die neue Regierung allerdings nicht herum: die Energiewende. Vielleicht wird sie einst sogar in den Geschichtsbüchern danach beurteilt, ob ihr dieses Jahrhundertwerk gelungen ist. Steigende Stromkosten sind ein Quell wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Eine stärkere Belastung von Betrieben mit hohen Energiebedarf wird allerdings zum Vabanquespiel. Spätestens dann, wenn sie Arbeitsplätze kostet. Der Kampf zwischen Wirtschaft und Umwelt ist weiter in vollem Gange - und Gabriel als Ökonom und Ökologe in Personalunion um seinen Job nicht zu beneiden.

Immerhin vermeidet Schwarz-Rot die Überhöhungen der Vorgänger-Regierung: Man sieht sich selbst als ein Zweckbündnis auf Zeit. So viel Nüchternheit muss nicht die schlechteste Arbeitsgrundlage sein.

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