Von der Verzückung zur reifen Liebe

Saarbrücken. Eine drängende Frage stellt sich am heutigen 47. Jahrestag des Elysée-Vertrags: Braucht das deutsch-französische Duo einen Paar-Therapeuten? Nach einem Lernprozess, den Präsident Sarkozy mit dem Flop der Mittelmeer-Union durchmachen musste, bemüht er sich sehr um die frühzeitige Abstimmung europäischer Initiativen mit dem deutschen Nachbarn

Saarbrücken. Eine drängende Frage stellt sich am heutigen 47. Jahrestag des Elysée-Vertrags: Braucht das deutsch-französische Duo einen Paar-Therapeuten? Nach einem Lernprozess, den Präsident Sarkozy mit dem Flop der Mittelmeer-Union durchmachen musste, bemüht er sich sehr um die frühzeitige Abstimmung europäischer Initiativen mit dem deutschen Nachbarn. Neben der erfolgreichen, gemeinsamen Initiative für mehr Transparenz auf den Finanzmärkten legte Frankreich vor wenigen Monaten mit symbolgeladenen Vorschlägen wie der Berufung eines deutsch-französischen Ministers nach. Das fehlende Echo aus Deutschland, wo die Zusammenarbeit derzeit eher unter dem Siegel "Routine" plätschert, goutiert man in der Grande Nation so gar nicht. Und erinnert sich wehmütig an die Ära der Versöhnung, die von flammenden Liebesbekenntnissen - einer "amour fou" - und deren Übersetzung in ein enges, institutionalisiertes Kooperationsgeflecht geprägt war. Große Projekte, wie die Schaffung des europäischen Binnenmarktes oder das europäische Währungssystem, starteten folglich auf Initiative von Deutschland und Frankreich. Oft vergisst der Betrachter, dass am Anfang dieser Meilensteine durchaus unterschiedliche Interessen standen. Umso mehr verstanden es die beiden Staaten, eine bilaterale Position auf Basis von Kompromissen auszuhandeln, mit denen sich anschließend auch die anderen europäischen Länder identifizieren konnten. Doch mit der fortschreitenden europäischen Integration und der zunehmenden Institutionalisierung kam den beiden Ländern auch die Vision, das identitätsstiftende Merkmal ihrer Beziehungen, abhanden. Und es passierte, was in jeder langen Ehe droht: Der (europäische) Alltag kehrte ein, die Beziehung wurde banal, die Liebesbekundungen wandelten sich zu inhaltsleeren Sonntagsreden. Und es kam noch schlimmer: In der erweiterten Union funktioniert der bilaterale Schulterschluss heute nur noch beschränkt, und nationale Einzelinteressen wie jüngst im Fall der CO2-Besteuerung von Pkw erschweren die Suche nach gemeinsamen Positionen. Nach der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon muss nun das Paar, das sich traditionell als Motor der europäischen Integration versteht, nun auch noch mit veränderten vertraglichen Rahmenbedingungen klarkommen. De facto bleibt den Partnern aber ein wichtiger Trumpf erhalten: der gemeinsame Wille zur Avantgarde in Europa. Mit dem Lissabon-Vertrag wurden die Möglichkeiten verstärkter Zusammenarbeit konkretisiert, die auf dem Vorbild des Schengener Abkommens beruhen. Nun liegt es bei Frankreich und Deutschland, diese Chance als neue Spielwiese ihrer Beziehung zu nutzen. Insbesondere in Handlungsbereichen wie Finanz- und Wirtschaftspolitik, in denen die beiden Länder als starke europäische Partner wahrgenommen werden. Dazu gehört auch, den Defizitabbau in der Eurozone gemeinsam anzugehen. Denn: Wer Vorreiter sein will, muss zuallererst Vorbild sein. Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen, um vom eigenen Unvermögen bei der Haushaltsdisziplin abzulenken, würde ein gemeinsames Konzept frischen Wind in die zänkische Ehe bringen. Also das, was Paar-Therapeuten gemeinhin raten, wenn alte Ehepaare zaudern: Die Partner müssen lernen, sich auf Gemeinsamkeiten zu konzentrieren und Widersprüche zuzulassen.

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