Von der Leyens 140 Probleme

Flugzeuge, die nicht fliegen, Raketenabwehrsysteme , die nicht schießen, viel zu teure Rüstungsgüter , die wegen Jahre langer Lieferverzögerung längst überholt sind - die Mängelliste bei der Bundeswehr ist schier endlos.

Was Experten schon länger wussten, hat eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft jetzt zu einem schonungslosen Bericht verdichtet. Es handelt sich um eine alarmierende Bestandsaufnahme, mit der sich die Verteidigungsministerin nun konfrontiert sieht. Doch wäre es falsch, die Schuld dafür bei Ursula von der Leyen abzuladen. Zum einen ist sie kaum ein Jahr im Amt. Zum anderen hat sie das Gutachten selbst in Auftrag gegeben. Damit hebt sich die amtierende Wehrministerin wohltuend von ihren mehr oder minder gescheiterten Vorgängern ab. Auch die wussten um die Missstände in der Truppe, waren aber entweder zu feige, oder zu bequem, den Aufstand gegen einen Ministerialapparat zu wagen, der offenbar nach dem Motto verfährt: Das haben wir schon immer so gemacht, da könnte ja jeder kommen!

Wenn der externe Sachverstand nicht weniger als 140 Probleme bei den wichtigsten Rüstungsprojekten ermittelt und dann schlussfolgert, dem Ministerium gelinge es nicht, seine Kosten-, Termin- und Leistungsziele gegenüber den Herstellern durchzusetzen, dann heißt das im Klartext: Die deutsche Politik lässt sich von der Rüstungsindustrie am Nasenring durch die Manege führen. Klare Haftungsregelungen bei Vertragsverletzungen sind offenbar ein Fremdwort. So wird zum Beispiel der neue Lufttransporter A400 M erst mit einer über vierjährigen Verspätung ausgeliefert. Doch von entsprechenden Strafzahlungen des Herstellers hat man nichts gehört. Offenkundig mischen auch viel zu viele Stellen bei der Beschaffung von Wehrmaterial mit. Bis zur organisierten Verantwortungslosigkeit ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Ursula von der Leyen ist angetreten, die eklatanten Missstände zu beheben. Ihr war lange vorgeworfen worden, sie halte sich nur mit "soften Themen" in der Öffentlichkeit auf: Flachbildfernseher für die Soldatenstuben, Kitas für die Kasernen. Leicht vergessen wird dabei, dass eine ihrer ersten Amtshandlungen darin bestand, den für die Rüstungsbeschaffung zuständigen Staatssekretär Stephan Beemelmans, einen engen Vertrauten ihres Vorgängers Thomas de Maizière, in die Wüste zu schicken. Von der Leyen muss also nicht ganz bei Null beginnen, obgleich der Bericht zum Chaos in der Truppe eine weitere Chance zum Neuanfang bietet. Schafft von der Leyen tatsächlich das, was ihre Vorgänger nicht vermochten, wäre das ihr Meisterstück auf dem Weg ins Kanzleramt. Wenn nicht, dürfte sie ihre politische Zukunft verspielt haben.

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