Vom Wortbruch, im Volksmund „Lüge“ genannt

Berlin · Vom alten Adenauer stammt der legendäre Satz: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?" Und Ex-SPD-Chef Franz Müntefering fand es "unfair", an Wahlkampf-Versprechen erinnert zu werden, schließlich habe sich die Welt ja weitergedreht.

Nun ist gewiss nichts dagegen einzuwenden, täglich klüger zu werden, doch zweifellos hat das Ändern von Meinungen seine Grenzen. Gerade Politiker neigen dazu, diese immer wieder auszutesten. Das wird gefährlich, wenn dahinter System zum Vorschein kommt. Wie jetzt bei drei elementaren Punkten deutscher Politik, bei denen das Volk für dumm verkauft werden soll.

Der so genannte Soli, vor mehr als zwei Jahrzehnten zum Aufbau der neuen Länder befristet eingeführt, soll nun dauerhaft gelten, über den festgelegten Endpunkt 2019 hinaus. Das wäre klarer Wortbruch, im Volksmund auch "Lüge" genannt. Die Spitzen des Staates, damals mit Kanzler Helmut Kohl an vorderster Front, haben den Bürgern unmissverständlich versprochen, diese Extra-Steuer nur "bis Ende des Jahrzehnts" (in den 90er Jahren) zu erheben. Mittlerweile fließt ein Großteil der rund 15 Milliarden Euro jährlich in den Bundeshaushalt , er ist längst nicht mehr zweckgebunden. Auch deshalb ist die Versuchung groß, den "Solidaritätszuschlag " unter anderem Namen weiter zu kassieren. Die Politiker wären aber gut beraten, sich das gewagte Manöver nochmals zu überlegen - oder ehrlich zu sagen, dass man diese Steuererhöhung (denn nichts anderes wäre es) etwa für einen Altschuldenfonds dringend benötige.

Das zweite Beispiel ist die Maut . Man kann es nicht mehr zählen, wie oft Verkehrsminister Alexander Dobrindt und seine politischen Freunde zugesagt haben, die deutschen Autofahrer nicht zusätzlich zu belasten. Nun plötzlich, noch bevor das Werk Gesetzeskraft erlangt hat, wird relativiert und zurückgerudert. Man will sich Wege frei halten, wenn nach der nächsten Bundestagswahl neues Geld für die Infrastruktur gebraucht wird und die Mautzahler dafür bluten sollen. Käme es dazu, hätte sich die CSU als Treiber dieses Programms die Zustimmung der Bevölkerung durch Vorgaukelung falscher Tatsachen erschlichen.

Der dritte Bereich sind die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat mehrfach öffentlich bekundet, dieses Regelwerk sei mit dem umstrittenen Investorenschutz und privaten Schiedsgerichten nicht akzeptabel. Ohne echte Not kommt nun die Kehrtwende: Deutschland lebe vom Freihandel und dürfe in Europa nicht abseits stehen, sagte er im Bundestag. Eine bemerkenswerte Volte. Es wäre klarer Wortbruch, vor allem gegenüber seinen eigenen Genossen, die TTIP und Ceta - zu Recht - mit großer Skepsis betrachten. Denn diese Abkommen drohen ein Sonderrecht für große Konzerne zu schaffen, die Selbstbestimmungsrechte von Kommunen und Stadtwerken auszuhöhlen und die Interessen der Bürger bei der Daseinsvorsorge zu missachten. Schon deshalb müsste sich Sozialdemokrat Gabriel die Frage stellen, ob Europas stärkstes Land nicht besser eine Vorreiterrolle einnimmt und in der EU ein Beispiel gibt für Prinzipientreue und Souveränität.

Die große Koalition sollte sich hüten, ihre große Mehrheit mit großen Fehlern zu diskreditieren. Nur wer dauerhaft glaubwürdig ist, kann auch dauerhaft das Vertrauen der Menschen gewinnen.

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