Vom strammen Linken zum Idol der Wirtschaftsliberalen
München · . Er wird vielen fehlen - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Den einen als Vorbild und Wissenschaftler der klaren Worte, den anderen als Ärgernis und Provokation. Und den Medien als Interview-Partner mit der seltenen Fähigkeit, komplizierteste Sachverhalte auf den Punkt zu bringen: Hans-Werner Sinn , Präsident des Münchener Ifo-Instituts und Hochschullehrer, hielt am Montagabend in München seine Abschiedsvorlesung.
Es war natürlich keine Vorlesung im üblichen Sinne, sondern eine Mischung aus Biografie, Geschichte, Volkswirtschaftslehre und Anekdoten - kurzweilig, wie immer.
Sinn polarisierte gegen Ende seiner Amtszeit immer mehr. Das Magazin "Stern" bescheinigte ihm, sich wie andere Männer "über 50" zu "radikalisieren". "Boulevardprofessor" oder "Donald Trump der Ökonomie" wurde er geheißen. Den Vorwurf, die wissenschaftliche Arbeit zugunsten des Scheinwerferlichts vernachlässigt zu haben, kann man dem 67-Jährigen aber nicht machen. Sinn hinterlässt ein fast unüberschaubares wissenschaftliches Werk. Vielleicht mögen die Medien den Westfalen mit dem Käpt'n-Ahab-Bart vor allem deshalb, weil er so gut das Prinzip "Only bad news are good news" (nur schlechte Nachrichten verkaufen sich gut) bedient. Den ökonomischen Untergang des Abendlandes sieht Sinn spätestens seit der Wiedervereinigung heraufdämmern, bei der nach seiner Ansicht die Kardinal-Fehler passierten, die jetzt im europäischen Maßstab zum großen Desaster führen.
"Es gibt kein Primat der Politik über die ökonomischen Gesetze", sagt er. Bestraft werde für wirtschaftspolitische Fehler in der Regel aber nicht die Verursacher-Generation der Politiker, sondern ihre Nachfolger. "Das", so Sinn, "wird sich am Mindestlohn zeigen." Der Mindestlohn ist so etwas wie eine offene Wunde im Prophezeiungs-Oevre des scheidenden Ifo-Präsidenten. Bei seiner Einführung hatte er eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit prognostiziert, bislang aber ist das Gegenteil eingetreten. Was Sinn nicht davon abhält, angesichts des Flüchtlingszustroms eine Abschaffung oder Reduzierung zu fordern.
Sinn ist vor allem für Wirtschaftsliberale ein Idol, Linke wird man vergebens in seiner Fangemeinde suchen und für die Gewerkschaften ist der Professor ein rotes Tuch. Dabei war der in Brake geborene Westfale in seiner Jugend ein strammer Linker. Er fuhr mit der sozialistischen Jugend "Die Falken" nach Frankreich, las mit seinen Kommilitonen im sozialistischen Hochschulbund Herbert Marcuse .
Doch bei Promotion (1978) und Habilitation (1983) an der Universität Mannheim war ihm längst klar, dass "die Marktwirtschaft grundsätzlich besser funktioniert als die Zentralverwaltungswirtschaft, die automatisch zur Gewaltherrschaft führt". Mindestens zwei Voraussagen machte Sinn zum Abschied: Die "Rente mit 63", Ausprägung einer "verantwortungslosen Politik", werde sich bitter rächen. Außerdem werde man in zwei Jahren über das vierte Hilfsprogramm für Athen diskutieren.