Verlogene Empörung über Zusatzbeitrag

Berlin. Die Ankündigung einiger gesetzlicher Krankenkassen, von ihren Mitgliedern demnächst Zusatzbeiträge zu verlangen, hat eine wahre politische Wutwelle ausgelöst. Dabei empören sich vor allem jene, die das Instrument selbst ins Gesetzblatt geschrieben haben. Schon daran zeigt sich die ganze Verlogenheit der Diskussion

Berlin. Die Ankündigung einiger gesetzlicher Krankenkassen, von ihren Mitgliedern demnächst Zusatzbeiträge zu verlangen, hat eine wahre politische Wutwelle ausgelöst. Dabei empören sich vor allem jene, die das Instrument selbst ins Gesetzblatt geschrieben haben. Schon daran zeigt sich die ganze Verlogenheit der Diskussion. Offenbar aus Angst vor dem Zorn der Bürger soll nun das Bundeskartellamt die Kassen auf vermeintlich unlautere Absprachen überprüfen. Und Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) kündigt medienwirksam ein Treffen mit Kassen- und Pharma-Vertretern an, um sich über Spar-Ideen bei Arzneimitteln ins Bild zu setzen. Das eine ist so unsinnig, wie das andere überflüssig ist. Nach dem Sozialgesetzbuch sind die Kassen beim Wettbewerbsrecht außen vor, weil es sich um öffentliche rechtliche Körperschaften handelt und nicht um Unternehmen. Damit finden auch die einschlägigen Paragraphen des Kartellrechts keine Anwendung.Auch der größte Kritiker des Zusatzbeitrages kann die Finanznot der Kassen nicht leugnen. In diesem Jahr fehlen ihnen rund vier Milliarden Euro. Was das Sparen angeht, so liegen die Vorschläge für den Medikamentenbereich längst auf dem Tisch. Der regelmäßig veröffentlichte Arzneimittelreport des Pharmakologischen Instituts in Heidelberg und der AOK Schleswig-Holstein kommt seit Jahren immer zum gleichen Ergebnis: Vieles von dem, was die Ärzte verschreiben, ist überflüssig und teuer. "Weil Ärzte von der Pharmaindustrie - anstatt von neutraler Seite - informiert werden, gehen sie davon aus, dass das neue Medikament das beste ist, obwohl viele ihre Patienten mit einem billigeren Präparat auskämen", sagt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. "Das andere Problem ist, dass neue Medikamente tatsächlich gar nicht besser sind." Trotzdem müssen sie von den Krankenkassen bezahlt werden. Egal, was es kostet. Voraussetzung ist nur, dass das Medikament eine Marktzulassung hat. Damit ist Deutschland ein Paradies für die Pillenindustrie. Anders zum Beispiel die Schweiz. Dort sind Preisverhandlungen zwischen Pharma- und Kassenvertretern zwingend vorgeschrieben. Erst danach werden die Präparate in den Leistungskatalog der Kassen aufgenommen. Dabei gab es in Deutschland bereits mehrere politische Anläufe für eine solche Lösung. Schon in der Gesundheitsreform von 1992 sollte eine so genannte Positivliste für alle erstattungsfähigen Medikamente verankert werden. Zum einen wollte man damit die Kosten bremsen und zum anderen Pillen mit zweifelhaftem therapeutischem Nutzen vom Markt verdrängen. Aber die Pharmalobby war immer stärker. "Wir müssen endlich davon wegkommen, dass ein Medikament auf den Markt gelangt und automatisch von der Kasse bezahlt werden muss", sagt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. "Eine Möglichkeit wäre, ein neues Medikament für ein Jahr auf Probe zuzulassen und in dieser Zeit eine Prüfung vorzunehmen, ob der höhere Preis tatsächlich in einem vernünftigen Verhältnis zur Wirkungsverbesserung steht". Nach der Probezeit könne das entsprechende Medikament dann auf einer Positivliste erscheinen, so Wasem. Spar-Ideen im Arzneimittelbereich gibt es also zuhauf. Ob sich ausgerechnet ein Gesundheitsminister mit FDP-Parteibuch ihrer annimmt, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen.

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