Erweiterung stockt Auf dem Balkan trübt sich der Blick nach Europa
Belgrad · Für die Menschen in Südosteuropa, an der Peripherie der Europäischen Union, war 2019 kein gutes Jahr. Anders als versprochen, gab der EU-Rat im Oktober kein grünes Licht für den Beginn von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien – Frankreich und wenige andere legten sich quer.
In Serbien und Montenegro, zwei Länder, die bereits über den EU-Beitritt verhandeln, verstärkten sich derweil die autoritären Tendenzen der regierenden Kräfte.
Das Nein zu neuen EU-Beitrittsgesprächen war besonders für Nordmazedonien verheerend. Die Regierung des Sozialdemokraten Zoran Zaev stürzte in eine Krise und musste vorgezogene Parlamentswahlen am 12. April ansetzen. Sie hatte eine erhebliche Vorleistung erbracht: Indem sie das Land im Februar gegen massive Widerstände der nationalistischen Opposition von Mazedonien in Nordmazedonien umbenannte, legte sie den unseligen Namensstreit mit Griechenland bei. Nun besteht die Gefahr, dass die Regierung bei den Neuwahlen von der rechten Opposition hinweggefegt wird. „Wir sind enttäuscht“, sagte Zaev im November. „Denn die EU hat versprochen, dass sie liefert, wenn wir liefern – und sie hat nicht geliefert.“ Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sein Veto damit gerechtfertigt, dass der Mechanismus der Beitrittsverhandlungen nicht mehr zeitgemäß sei. In der Region wird es als Vertrauensbruch wahrgenommen, als bedrohlicher Ausdruck einer „Erweiterungsmüdigkeit“ in Kernländern der EU. Dabei hatte die EU schon 2003 bei einem Gipfel in Thessaloniki feierlich deklariert, dass alle Staaten des westlichen Balkans eine Beitrittsperspektive haben sollen. Doch nur Kroatien hat es seitdem geschafft. Für die anderen scheint die Perspektive zunehmend zu verschwimmen. Sie drohen sie aus den Augen zu verlieren – droht auch die EU den Balkan zu verlieren?
Äußere Mächte wie Russland, China und die Türkei stehen als scheinbare Alternativen auf der Matte. Moskau stärkt vor allem Serbien den Rücken, das den Verlust seiner einstigen Provinz Kosovo nicht hinnehmen will. In Bosnien-Herzegowina unterstützt Russland den starken Mann des serbischen Landesteils, Milorad Dodik. In Montenegro sollte ein von russischen Agenten geplanter, aber gescheiterter Putsch im Oktober 2016 den Nato-Beitritt des Landes vereiteln.
China verfolgt mit seiner Strategie der „Neuen Seidenstraße“ ein Kontinente übergreifendes Konzept zur Durchsetzung seiner Wirtschaftsinteressen. Dem Balkan kommt dabei eine Rolle als Transitraum zu. Peking erwarb Mehrheitsanteile am griechischen Hafen Piräus und modernisiert die Eisenbahn zwischen Belgrad und Budapest. Chinesische Staatsbanken finanzieren die Projekte, Staatsfirmen führen sie aus. Die Wertschöpfungsbilanz für die Empfängerländer fällt mager aus.
Die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan sucht wiederum – aber nicht ausschließlich – die Nähe zu muslimischen Politik-Faktoren auf dem Balkan. Erdogan zielt einerseits auf den Absatz türkischer Waren – andererseits auf geopolitischen Einfluss.
„Gewiss, der Enthusiasmus in der Region für die EU klingt deutlich ab“, sagt Florian Bieber, der das Südosteuropa-Institut an der Universität Graz leitet. „Zugleich haben aber externe Akteure wie Russland und China nicht viel anzubieten.“ Die oft autoritären und korrupten Eliten auf dem Balkan würden zwar gerne ihre Projekte annehmen, sagt der Experte – nicht zuletzt, um sich selbst daran zu bereichern. „Aber wenn man sich die Investitionen ansieht, dann sind die der EU ungleich gewichtiger.“ Schließlich, sagt Bieber weiter, brauche man nur junge Menschen in der Region zu fragen, wo sie gerne leben würden. „Sie werden nicht Peking, Istanbul oder St. Petersburg nennen, sondern Berlin oder Wien.“