Vereinte Feinde

Dass der Feind deines Feindes dein Freund ist, diese Faustregel gehört zu den ältesten Handlungsanleitungen im Nahen Osten. Und wenn sunnitische Glaubenskrieger der Isis-Miliz eine irakische Stadt nach der anderen einnehmen, bedrohen sie die Interessen der USA und des Iran gleichermaßen.



Präsident Barack Obama will nach dem Desaster der Bush-Ära zwar kein zweites Mal Truppen an den Euphrat entsenden. Er wird aber auch nicht zulassen können, dass das Zweistromland zum neuen Hauptquartier der Terror-Internationale wird. Zugleich beunruhigt der Vormarsch der Fanatiker auch Teheran , das die von Schiiten beherrschte irakische Regierung als wichtigen regionalen Verbündeten sieht. Das Vorrücken von Isis bringt also zwei Mächte zusammen, die einander seit der Revolution des Ajatollah Khomeini - unterbrochen von kurzzeitigen Lockerungsübungen - so gründlich misstrauen, dass sie als Erzfeinde gelten.

Wenn Obama mit den Ajatollahs in Teheran redet, so kann er womöglich verhindern, dass iranische Truppen über die Grenze marschieren und zusätzlich Öl ins Feuer gießen. Bringt das Weiße Haus den Iran ins Spiel, zeigt dies aber noch etwas anderes: Es sind nicht die Amerikaner, die es richten werden im Zweistromland. Die haben sich schon einmal überhoben, und die Hybris George W. Bushs und seiner neokonservativen Abenteurer steckt den USA noch in den Knochen. Ein zweites Mal dürften sie den Versuch nicht wagen, das weiß Obama als realistischer Beobachter des Weltgeschehens - realistisch vor allem in der Einschätzung der eigenen Möglichkeiten.

Diesmal ist es vielmehr an den Nachbarn des Irak , so etwas wie eine Friedensordnung zu organisieren. Sunnitische Mächte wie die Türkei und Saudi-Arabien einerseits sowie die schiitischen Iraner andererseits sollen helfen, die Weichen für eine politische Lösung zu stellen. Sicher, es kann Jahre dauern, bis das Bemühen um eine Aussöhnung greift. Und derzeit deutet vieles auf einen längeren Bürgerkrieg. Doch wer den Iran nicht einbezieht in einen Lösungsversuch, ignoriert die Wirklichkeit des Nahen und Mittleren Ostens.

Obama ist zu sehr Pragmatiker, als dass ihm ideologische Scheuklappen oder der Ballast der Vergangenheit den Blick verstellen würden. Die Tatsache, dass sich seine Interessen kurzfristig mit denen Teherans decken, bedeutet jedoch nicht, dass sich Konflikte anderswo in Wohlgefallen auflösen. So stützt der Iran in Syrien jenen Baschar al-Assad, den Obama zum Machtverzicht zwingen will. Im Libanon wird die Hisbollah vom US-Außenministerium als Terror-Organisation eingestuft, während Teheran die "Partei Gottes" mit ihren gut ausgebildeten Milizen als unverzichtbares Werkzeug ihres Einflusses sieht. An Reibungspunkten wird es also auch künftig nicht mangeln.

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