Verdruss und Protest
Bei einem Wettkampf weiß man es nie genau: Hat der Sieger nun gewonnen, weil er so gut oder weil der Gegner so schlecht war? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Insofern ist schwer zu beurteilen, nach welchen Kriterien die Wähler in Thüringen und Brandenburg ihre Sympathien verteilt haben.
Klar ist nur, dass die Protestwähler eine absolute Mehrheit haben: Rund die Hälfte der Wahlberechtigten hat sich gänzlich verweigert, weitere zehn bis zwölf Prozent wählten die Protestpartei AfD.
Es ist das alte Lied: Viele Bürger , im Osten noch mehr als im Westen, sind enttäuscht und gefrustet, sie fühlen sich im Stich gelassen und vernachlässigt. Es ist (auch) ein Stück Anspruchsdenken: Ich und mein Milieu bedürfen der stärkeren Fürsorge, wir haben keine echten Chancen, den anderen geht es besser. Mit "den anderen" sind Besserverdiener gemeint, vor allem aber "die Ausländer". Zuwanderung ist ein großes Thema, das die etablierten Parteien gern klein reden. Die Politiker wissen um den Unmut vieler Bürger , die um ihre Jobs fürchten, aber sie reagieren hilflos auf die konkreten Probleme vor Ort. Genau auf diesem Nährboden gedeiht die AfD, deren Programmatik vor allem eins ist: diffus.
Protestwählern ist aber egal, dass sich an der Neuerfindung des Rades schon ganz andere Kaliber versucht haben. Sie verspüren ein Gefühl der Genugtuung, wenn die Altparteien geschockt von einer "Gefahr für Deutschland" fabulieren. Dabei handelt es sich bei der AfD nur um ein Sammelbecken verärgerter Bürger , einem merkwürdigen Mix aus professoraler Elite und politisch verdrossener Mittelschicht. Viele Protestwähler interessieren sich nicht mal besonders für Politik, von der sie mehr erwarten, als diese zu leisten imstande ist. Solche Menschen entscheiden nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch. Der Frust über ein Leben, das man sich so nicht vorgestellt hat, braucht ein Ventil, das dann mit dumpfer Entschlossenheit betätigt wird.
Was also tun gegen eine AfD, die sich im Siegesrausch schon zur "kleinen Volkspartei" hochjubelt? Die Antwort der Kanzlerin, die Bundesbürger mit "guter Arbeit" beeindrucken zu wollen, ist naiv. Protestwähler lassen sich nicht mit Argumenten überzeugen, auch nicht mit Mindestlohn und Betreuungsgeld. Erst recht zum Scheitern verurteilt ist der billige Versuch einer Ausgrenzung und Dämonisierung, zumal diese Methode noch nie funktioniert hat. Was helfen könnte, sind hingegen klare Botschaften, das Thematisieren und Ernstnehmen von Ängsten sowie Problemlösungen im Mikrokosmos der Regionen. Und etwas Geduld. Denn wie bei den Republikanern, der Statt Partei oder den Piraten dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die AfD selbst entzaubert hat.