Impf-Streit Für Ursula von der Leyen steht viel auf dem Spiel

Brüssel · Die wachsende Unzufriedenheit mit den schleppend laufenden Impfungen ist nicht nur für die EU-Kommissionspräsidentin ein Problem.

 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss sich harter Kritik erwehren.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss sich harter Kritik erwehren.

Foto: dpa/Etienne Ansotte

14 Monate nachdem die deutsche CDU-Politikerin das Amt der EU-Kommissionspräsidentin übernommen hat, steckt Ursula von der Leyen in der Krise. Sie wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Impfkampagne anderswo erfolgreicher ist als in der EU. Daran gibt es zum jetzigen Zeitpunkt ja auch keinen Zweifel. In den USA, Großbritannien und Israel geht es schneller. Dafür gibt es aber Gründe, die bei den Schuldzuweisungen unterschlagen werden: Die USA haben ein Exportverbot erlassen. Die Gesundheitsbehörden in Washington und London haben eine Notzulassung vorgenommen. Daher war der Impfstoff dort drei bis vier Wochen schneller verfügbar. Die Notzulassung hat aber auch einen Preis: Die Risiken, die eine Injektion des neuartigen Impfstoffes für gesunde Menschen bedeuten, sind in den USA und London nicht so gründlich abgeklärt worden wie in der EU. Außerdem liegt die Haftung für grobe Fehler in den genannten Ländern nicht beim Pharmabetrieb, sondern beim Staat. Israel hat einen besonderen Deal bekommen und liefert dafür sensible Gesundheitsdaten beim Konzern ab. Außerdem gibt es starke Hinweise, dass das Pharmaunternehmen Astrazeneca die EU gelinkt hat, das Geld aus Brüssel zwar angenommen hat, aber die Impfstoffdosen vorrangig auf die Insel exportiert.

Doch von den entlastenden Argumenten wollen die Kritiker nichts hören, behaupten vielmehr, die EU habe zu spät geordert. Sie wollen auch nichts davon wissen, dass Länder wie Kanada, Japan, die Schweiz und Singapur deutlich hinter der EU liegen. Immer wütender zeichnen sie das Bild des kompletten Versagens der EU. Das ist für von der Leyen ein großes Problem. Letztlich ist sie als Chefin der EU-Kommission politisch verantwortlich. Wenn es darum geht zu glänzen, geht sie gern vor die Kameras. Sie ist ja auch das Gesicht dieser EU-Kommission. Von der Leyen hat sich persönlich in die Verhandlungen mit Pharmafirmen eingeklinkt. Sie hat also nicht nur die politische, sondern auch die inhaltliche Verantwortung.

Man muss inständig hoffen, dass der schlechte Impfstart über die lange Distanz wieder wettgemacht wird. Es gibt schon erste Hoffnungszeichen, dass das gelingen könnte. So hat bereits heute in Dänemark, Italien und Deutschland ein höherer Anteil der mehr Menschen zwei Impfdosen bekommen als in Großbritannien und damit umfassenden Schutz.

Für Ursula von der Leyen steht viel auf dem Spiel. Das Impfen, also die Auswahl der Impfstoffe, die Preisverhandlungen sowie die gemeinsame Beschaffung, ist mit Abstand das wichtigste Projekt, das die EU-Staatengemeinschaft seit ihrer Gründung gestartet hat. Wenn die EU-Kommission unter von der Leyen hier eine Pleite hinlegt, würde das verheerende Folgen haben. Es würde das Zutrauen der Bürger in die EU und ihre Fähigkeit, die Probleme der Menschen zu lösen, untergraben. Wenn das schiefgeht, würde niemand mehr in der Zukunft dafür sein, zum Überleben wichtige Güter noch einmal gemeinsam durch Brüssel anschaffen zu lassen.

Offenbar steigt der Druck auf von der Leyen nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit. Etliche Staats- und Regierungschefs sollen unzufrieden sein und machen sie persönlich für die Probleme verantwortlich. Schon 1999 musste einmal eine EU-Kommission zurücktreten. Ein derartiges Szenario muss man zum jetzigen Zeitpunkt nicht annehmen. Seinerzeit war die Kommission über eine Korruptionsaffäre gestolpert und hatte das Vertrauen der Abgeordneten im Europa-Parlament verloren. Diesmal ist der Kommission ein handfester Fehler nicht nachzuweisen. Ernst nehmen muss von der Leyen die heftige Kritik aber sehr wohl.

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