Unbeirrt auf dem Irrweg

Eigentlich hat der Bundestag gestern über ein Phantom abgestimmt. Jedenfalls gemessen an den zahlreichen politischen Beschwörungen bis in die jüngste Vergangenheit - danach dürfte es ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland nämlich gar nicht geben.

Immerhin mehr als jeder fünfte der anwesenden Unionsabgeordneten lehnte es denn auch ab. Ist das nun ein Misstrauensbeweis gegen Angela Merkel? Noch nicht direkt. Große Regierungsmehrheiten erzeugen zuweilen auch einen gewissen Mangel an Selbstdisziplin. Dass dieser Mangel allerdings zum zweiten Mal in kurzer Zeit so massiv ausfällt, muss für die Kanzlerin ein Warnsignal sein.

Mit der Zustimmung zu den Rettungsmilliarden bröckelt auch das System Merkel. Das Vertrauen in sie und ihre Autorität, ihre Eigenschaft abzuwarten und sich im geeigneten Moment auf die Seite der Mehrheit zu schlagen, stoßen zunehmend an Grenzen im eigenen Lager. Dort würde man ja gern glauben, dass Merkels Weg für Griechenland richtig ist. Doch viele Fakten sprechen dagegen. Mit jedem Hilfsprogramm hat sich die Lage in Griechenland verschlechtert. Die Konjunktur ist im Keller, die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau. Genau so wie die Staatsverschuldung. Schlimmer noch: Die Griechen selbst sehen in den Rettungspaketen keine Hilfe, sondern eine glatte Demütigung. Daran dürften auch die neuen Milliarden nichts ändern.

Anstatt sich endlich einzugestehen, dass Athen seine Schulden niemals wird zurückzahlen können, regiert einmal mehr der Selbstbetrug. Rund zwei Drittel der geplanten Unterstützung sind für Zinsen und Tilgung alter Kredite reserviert. Man macht also neue Schulden, um alte zu begleichen. Das ist ein Schneeballsystem. Den Preis dafür zahlen die Griechen unter anderem mit Rentenkürzungen und einer Erhöhung der Unternehmensteuern . Es ist ein Rätsel, wie da Wachstum entstehen soll. Geld für dringend notwendige Investitionen bleibt auch mit dem neuen Hilfsprogramm aus. Kurzum, Merkels Irrweg wird unbeirrt weiter beschritten.

Ihrer großen Popularität in den Umfragen hat das freilich nicht geschadet. Weil auch die Wähler gern an Merkel glauben, vielleicht sogar von ihr betrogen werden wollen. Der Kanzlerin spielt in die Hände, dass das Jonglieren mit zweistelligen Milliardensummen eine ziemlich abstrakte Angelegenheit ist. Auch musste noch kein Bundesbürger wegen Griechenland auf irgendetwas persönlich verzichten. In Merkels Amtszeit wird das auch so bleiben. Dafür sorgt ihre Rettungspolitik, die einer Insolvenzverschleppung Griechenlands gleichkommt. Erst in ferner Zukunft wird sich zeigen, ob es Verluste für Deutschland gibt - immerhin bürgt Berlin für rund 27 Prozent der Hilfskredite. Merkel wird das nicht ausbaden müssen. Nachfolgende Generationen vielleicht schon.

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