Unbeeindruckt von der Politik

Meinung · Soviel Optimismus war selten. Anders als bei früheren Gelegenheiten ist er auch berechtigt. Dass die rosigen Wirtschaftsprognosen der Bundesregierung keine bloße Propaganda sind, lässt sich schon mit den Erfahrungen der letzten beiden Jahre untermauern: So bravourös wie Deutschland ist kaum ein anderer Industriestaat durch die Krise gekommen. Dieser Trend setzt sich nun fort

Soviel Optimismus war selten. Anders als bei früheren Gelegenheiten ist er auch berechtigt. Dass die rosigen Wirtschaftsprognosen der Bundesregierung keine bloße Propaganda sind, lässt sich schon mit den Erfahrungen der letzten beiden Jahre untermauern: So bravourös wie Deutschland ist kaum ein anderer Industriestaat durch die Krise gekommen. Dieser Trend setzt sich nun fort. Der Grund ist allerdings weniger im schwarz-gelben Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu suchen, wie der Bundeswirtschaftsminister glauben machen will. Die darin verankerten Steuererleichterungen für Erben und Hotelbesitzer dürften den Aufschwung zuallerletzt beflügelt haben. Entscheidend waren vielmehr großzügige Regelungen bei der Kurzarbeit, die noch auf das Konto der großen Koalition gehen, sowie flexible Arbeitszeitmodelle in den Betrieben. So richtig und wichtig diese Notmaßnahmen waren, so sehr dürfen die Arbeitnehmer nun erwarten, endlich auch vom Aufschwung zu profitieren.An dieser Stelle kann der Staat freilich weniger helfen. Auch wenn die FDP weiter von milliardenschweren Steuerentlastungen träumt - angesichts eines real existierenden Nachkriegsrekords bei der Neuverschuldung entbehren solche Gedanken jeder vernünftigen Grundlage. Stattdessen ist nun die Arbeitgeberseite gefragt. Seit dem Jahr 2000 sind die Reallöhne in Deutschland um 4,5 Prozent gesunken. Ein Umstand mit Licht- und Schattenseiten: Einerseits hat die tarifliche Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in erheblichem Maße zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beigetragen. Anderseits blieb die Kaukraft der Konsumenten bescheiden. Das muss sich jetzt ändern. Nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer sind deutliche Reallohnzuwächse ein Muss. Eine Stärkung der Binnennachfrage würde Deutschland auch unabhängiger vom Exportgeschäft machen und damit von der Weltkonjunktur, um die es weniger gut bestellt ist. Das gilt besonders für den großen Rest der Euro-Staaten, deren Volkswirtschaften im laufenden Jahr im Schnitt stagnieren dürften.

Eingedenk der guten Nachrichten im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung irritiert eigentlich nur die Tatsache, dass Schwarz-Gelb kaum davon profitieren kann. Doch das hat sich Merkels Truppe selbst zuzuschreiben. So lange es regierungspolitisch nicht rund läuft, wird sich auch das politische Vertrauen der Bürger in Grenzen halten. Tröstlich daran ist nur, dass sich wenigstens die Wirtschaft davon unbeeindruckt zeigt. Zumindest auf diesem Feld hat das Land allen Grund zur Zuversicht.

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