Getötete Zivilisten Ein Jahr der traurigen Rekorde in Afghanistan

Kabul · „Ich hatte ein schönes Leben“, erinnert sich die junge Frau aus der südafghanischen Provinz Urusgan. An einem Tag vor drei Jahren aber endete dieses schöne Leben abrupt. Ihr Ehemann und ihre drei Söhne waren auf dem Weg in das Geschäft des Gatten, als eine Bombe detonierte.

Auf einen Schlag verlor sie alle vier. Die Frau schlug sich fortan durch, indem sie für weniger als einen Euro am Tag als Haushaltshilfe arbeitete. Als sie im vergangenen Jahr mit ihren zwei Töchtern zum Arzt fuhr, fuhr das Auto auf eine am Straßenrand platzierte Bombe. So musste sie auch ihre zwei verbliebenen Kinder begraben. Heute, sagt sie, bete sie täglich für ihren eigenen Tod.

Der zweite Schicksalsschlag der 28-Jährigen aus Urusgan ist nur eine von Tausenden Tragödien, die sich 2018 in Afghanistan zugetragen haben und die das Team der UN-Mission Unama für ihren gestern publizierten Jahresbericht zu den zivilen Opfern des Konflikts zusammengetragen hat. Seit zehn Jahren gehen die UN-Mitarbeiter akribisch jedem Bericht über zivile Opfer in Afghanistan nach. Und noch nie seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen 2009 mussten sie so viele zivile Todesopfer dokumentieren wie im vergangenen Jahr.

3804 Zivilisten verloren ihr Leben, das sind um elf Prozent mehr als im Jahr davor. Doch 2018 brachte weitere traurige Rekorde. Noch nie starben so viele Kinder, 927 waren es. Noch nie kamen so viele Menschen durch Luftschläge der internationalen und afghanischen Luftstreitkräfte um, über 500. Und noch nie wurden so viele Zivilisten bei Selbstmordanschlägen und größer angelegten Angriffen getötet und verletzt.

Den Großteil der Opfer, 37 Prozent, rechnet die UN den radikalislamischen Taliban zu. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) war im Vorjahr für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich.

Ungeachtet des Anstiegs der Opferzahlen ist Frieden heute ein Wort, das in Afghanistan überall zu hören ist. Nicht zuletzt, da die USA im vergangenen Sommer in einem Kurswechsel direkte Gespräche mit den Taliban aufgenommen haben, um den Konflikt politisch zu lösen. Heute beginnt im Golfemirat Katar die sechste Gesprächsrunde.

Die Hoffnung darauf, dass man sich einem Ende des Blutvergießens nähert, war nach den jüngsten Gesprächen im Januar gestiegen. Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad hatte danach einen Etappenerfolg zu verkünden: Man habe sich mit den Taliban auf den „Entwurf eines Gerüsts“ geeinigt, der ausgestaltet werden müsse, bevor er eine Einigung wird. Dieses „Gerüst“ soll nun in Doha befüllt werden. Es geht um Details rund um einen Abzugs der US-Truppen, der Hauptforderung der Taliban. Es geht auch um Garantien der Aufständischen, damit Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Khalilzad fordert zudem einen umfassenden Waffenstillstand und so rasch wie möglich direkte Gespräche der Taliban mit der afghanischen Regierung. Die Taliban hatten diese bisher verweigert.

Die Afghanen hoffen vor allem auf Fortschritte beim Thema Waffenstillstand. Geht es nach den Experten der International Crisis Group, sollten sie allerdings keine zu großen Erwartungen haben. In dieser frühen Verhandlungsphase sei ein Waffenstillstand unwahrscheinlich, heißt es in einer Analyse der Denkfabrik. Die Taliban waren in den vergangenen Monaten militärisch in der Offensive, sie fügten den afghanischen Regierungskräften hohe Verluste zu. Die Aufständischen würden sich daher sorgen, ihr Momentum auf dem Schlachtfeld zu verlieren, wenn sie einem Waffenstillstand zustimmten.

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