Brexit & Co. Der Druck von außen vereint den EU-Gipfel

BRÜSSEL Theresa May ist gestärkt. Als die britische Premierministerin am Freitagmorgen den EU-Gipfel in Brüssel wieder einmal als erste und einzige verließ (die anderen 27 Staats- und Regierungschefs tagten weiter), hatte sie erkennbar Selbstbewusstsein getankt. Die „Solidarität“ der übrigen 27 Mitgliedstaaten mit dem von einem Nervengift-Angriff geschockten Land sei „großartig und stark“ gewesen. In der Nacht zuvor hatte sie den Staats- und Regierungschefs bisher nicht veröffentlichte „Beweise“ für eine Beteiligung Moskaus an dem Mordanschlag auf den ehemaligen russischen Agenten vorgelegt.

Von einem „Angriff auf die europäische Souveränität“ (Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron) habe die Union gesprochen und sich hinter London gestellt, Sanktionen sind wohl nur noch eine Frage der Zeit. Der Rückgriff auf diesen Moment der Solidarität ist nötig, um nachvollziehen zu können, dass sich dieser Schulterschluss auch auf die Brexit-Verhandlungen auszuwirken beginnt. May will raus aus der EU, aus dem Binnenmarkt, aus der Zoll­union. Die Union wiederum bleibt dabei: Wenn die Übergangsperiode Ende 2020 ausläuft, kann es einen Freihandelsvertrag geben, mehr nicht. Vor allem kein Herauspicken von Rosinen. Und doch klang vieles plötzlich neu: May sprach von einer „umfangreicheren und engeren Zusammenarbeit als in irgendeinem anderen Freihandelsabkommen weltweit“. Um die Liefer- und Produktionsketten nicht zu unterbrechen, könne sie sich „sehr stark angeglichene Zollarrangements“ vorstellen, die „physische Grenzkontrollen überflüssig“ machen würden. Also, um mit May zu sprechen, „ein möglichst reibungsloser Handel“ mit „tieferem und breiterem Marktzugang“ als mit jedem anderen Drittstaat.

Die EU war verblüfft, gab sich – Solidarität in der Russland-Frage hin oder her – zunächst einmal grundsätzlich: Entweder raus aus der Gemeinschaft oder bleiben. Zwischenlösungen seien nicht drin. Doch Beobachter des Treffens beschreiben auffallende Veränderungen in der Tonlage, weil hier plötzlich ein Köder im Raum lag, der zu einem Kompromiss ohne allzu große ökonomische Schäden für beide Seiten führen könnte. Warum May die Union inklusive Binnenmarkt und Zoll­union aber verlassen wolle, um sich dann an die Regeln der EU zu halten, der sie dann nicht mehr angehört? Es blieben Fragezeichen. Zumal ein solcher Kotau vor den Hardlinern in den eigenen Reihen ohne Zweifel durchschaut würde.

Dass die Geschlossenheit der Europäer aber insgesamt so gut gelang, ist dem Druck von außen zu verdanken. Neben dem Zerwürfnis mit Moskau hinterließ auch der verschobene Handelskrieg mit den USA Spuren. Angesichts dieser Herausforderungen verblassten die aktuellen Themen weitgehend. Mehr noch: Diese Bedrohungen machten es möglich, latente interne Konflikte und Probleme, etwa zum Ausbau der Währungsunion, unter der Decke zu halten.

Die anfängliche Erleichterung über die ausgesetzten höheren US-Zölle auf Stahl und Aluminium aus Europa wich indes schon in der Nacht neuen Befürchtungen, weil Europa zunächst nur bis Anfang Mai verschont wird. Gemeinsam forderten die Staats- und Regierungschefs, „dass die Ausnahme dauerhaften Charakter erhält“. Sicher zeigte sich niemand, zumal die am Freitag in Kraft getretenen Strafzölle auf China-Stahl unweigerlich auf die europäischen Unternehmen durchschlagen dürften. 19 Millionen Tonnen, die den EU-Markt zusätzlich überfluten könnten, würden zu großen Problemen führen, hieß es in Brüssel. Aber wie die Gemeinschaft die Streithähne USA und China an einen Tisch holen will, blieb offen und nicht erkennbar.

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