Keine Druckmittel Erdogans Feldzug lässt Brüssel resignieren
Brüssel Ohnmacht und Sorge: Diese beiden Begriffe bestimmen die Gefühlslage von hochrangigen EU-Außenpolitikern, wenn sie in diesen Tagen auf die Militäraktion der Türkei im Norden Syriens angesprochen werden. „Extrem beunruhigt“, zeigte sich Federica Mogherini, Außenbeauftragte der EU über den Feldzug, auf dem die Truppen des türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan seit Samstag im nordsyrischen Grenzgebiet gegen die kurdischen „Volksschutzeinheiten“ (YPG) sind. Mogherini blieb nicht viel anderes übrig, als den Ausbruch von noch mehr Gewalt zu bedauern und zu Mäßigung aufzurufen.
Was soll sie groß tun, hat doch die EU ihre Beziehungen zur Türkei ohnehin schon massiv herunter gefahren. Die Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei sind eingefroren, das EU-Parlament hat sich dafür ausgesprochen, die Beitrittsgespräche auch formell zu beenden. In Brüssel hat sich eine resignative Stimmung mit Blick auf die Regierung in Ankara breit gemacht. „Niemand ist glücklich über die Invasion. Wir müssen aber einräumen, dass wir so gut wie gar nichts daran ändern können“, sagt ein Experte für Außenpolitik im EU-Parlament. Europa habe keinen Hebel mehr gegen Erdogan. Mogherini hat die Angelegenheit mit den Ministern sämtlicher EU-Mitglieder besprochen. Es gebe bei der Intervention der Türkei, die immerhin Nato-Partner der allermeisten EU-Mitgliedsländer ist, keinerlei Differenzen innerhalb der EU der 28 Mitgliedstaaten. Mogherini kündigte an, das Thema auch mit dem türkischen EU-Minister Ömer Celik ansprechen zu wollen, wenn er bald nach Brüssel kommt. Sie bemüht sich um ein persönliches Treffen mit Celik.
In der Sache unterscheidet Mogherini zwischen der humanitären Lage der betroffenen Bevölkerung und den möglichen Folgen der Kampfhandlungen für die Genfer Gespräche über ein Ende des Bürgerkriegs. „Wir müssen sicherstellen, dass jegliche militärische Aktion nur gegen den IS gerichtet ist.“ Damit hat sie den eigentlich wunden Punkt angesprochen. So zweifelt doch niemand in Brüssel daran, dass die offizielle Version der Türkei, wonach sie den IS und die YPG bekämpfe, so nicht stimmt. Vielmehr gilt die „Operation Olivenzweig“ ausschließlich kurdischen Kräften. So heißt es selbst in Berichten von türkischen Regierungsmedien, dass die von der Invasion betroffene syrische Region Afrin nur noch von den kurdischen „Volksschutzeinheiten“ kontrolliert werde. Auch unabhängige Beobachter gehen davon aus, dass Afrin seit einigen Jahren von Kurden dominiert wird und der IS dort keinen Platz mehr hat.
Die Kurden im Norden Syriens werden von türkischer Seite gern als syrische Variante der terroristischen PKK bezeichnet. Als Kurden stehen sie der Unabhängigkeitsbewegung auf türkischem Boden sicherlich nah. Doch in Brüssel geht niemand davon aus, dass die YPG-Truppen sich im Nordosten Syriens ausgebreitet haben, um eine Invasion der Türkei vorzubereiten, wie Ankara suggeriert. Vielmehr bekämpfen sie den syrischen Machthaber Assad und wurden dabei von den USA mit Waffenlieferungen unterstützt. Damit stehen die USA nun womöglich noch vor einem größeren Dilemma als die EU: Die Türkei wendet sich militärisch mit der „Operation Olivenzweig“ gegen einen Verbündeten der USA im Syrien-Bürgerkrieg. Es bleibt abzuwarten, welche Antwort die US-Regierung von Donald Trump auf diese ungewöhnliche Entwicklung findet.
Mogherini warnt, für Syrien-Gespräche bedürfe es jetzt einer „Situation am Boden, die so ruhig wie möglich ist“. Sie sagte es, ohne die Türkei beim Namen zu nennen, die derzeit die Situation destabilisiert. Das war die höchste Form diplomatischer Zurückhaltung.