Gastbeitrag zu Reformen in Frankreich Macron handelt mit faszinierender Energie

Saarbrücken/Paris Eine Partei aufzubauen braucht Zeit, Kräfte, neue Ideen. Ideen hat Präsident Emmanuel Macron in Fülle. Er hat sie den Wählern 2016 über Monate in seinem Programm, seinen Wahlkampf-Reden und dem auch deutsch erschienenen Buch „Revolution“ vorgelegt. Jeder konnte nach der Präsidentenwahl erneut in den Parlamentswahlen für die alt hergekommenen Parteien und damit gegen den neuen Präsidenten stimmen. Das taten die Wähler nicht, sondern straften die Alt-Parteien mit hohen Enthaltungsquoten ab. Macron hat eine überwältigende Mehrheit im Parlament.

Was jetzt manche als Krise wahrnehmen, sind die normalen Begleiterscheinungen eines tiefen Umbruchs in einer politischen Kultur. So tief hat Frankreich ihn nicht einmal 1958 erlebt, als ein ganzes Verfassungssystem unter dem Druck des Algerienkrieges in sich zusammenstürzte. Jetzt belasten die unter Nikolas Sarkozy explodierten Staatsschulden alles zusätzlich.

Europa fordert seit langem von Frankreich tiefgreifende Reformen. Macron nimmt sie nicht nur in Angriff, er hat sie in atemberaubender Geschwindigkeit politisch bereits teilweise durchgesetzt. Jetzt geht es um ihre Umsetzung in der Praxis. Das ist keineswegs ein Selbstläufer. Sogar der Kernpunkt der Arbeitsrechtsreform ist in Kraft. Doch die allseits erwarteten Massendemonstrationen bleiben überraschend aus. Dass François Hollande und Sarkozy an manchen dieser Reformen gescheitert sind, zeigt, dass die aufbrausende Kritik zur Debatte dazugehört und keineswegs eine Destabilisierung des neuen Präsidenten bedeutet.

Eine der Revolutionen findet in der Sozialpartnerschaft statt. In der französischen Betriebskultur ist sie wenig verankert. Hollande hoffte, sie mit einem „Pacte de solidarité“ teilweise durchzusetzen. Doch die Arbeitgeberschaft verweigerte ihren Teil des Paktes: Schaffung von Arbeitsplätzen. Macrons Arbeitsministerin verhandelte den Sommer 2016 hindurch mit den Gewerkschaftsführern, die eine so tiefgehende Dialogbereitschaft noch nie erfahren hatten. Erfolg: Macron gewann ihre Mehrheit für sein Projekt. Proteste kamen aus dem öffentlichen Dienst, der von dieser Reform gar nicht betroffen ist, doch seit jeher unter einer vielfach verheerend schlechten Bezahlung leidet.

Macron spricht grundsätzlich mit allen Kritikern. Sogar die Bürgermeister haben ihren angekündigten Aufstand gegen die komplizierten, sachlich begründeten Reformpläne auf kommunaler Ebene noch nicht losbrechen lassen. Auch eine Partei entsteht nicht aus dem Nichts. „En Marche!“ verfügt kaum über Strukturen. Sie müssen erst geschaffen werden. In Graswurzelmethode funktioniert das in modernen Gesellschaften nicht. Macron hat Recht, sie zunächst selbst vorzuschlagen. Wenn sie stehen, können die neuen Gremien sie weiterentwickeln. Aus dem Nichts entsteht selten ein fertiges Haus.

Außenpolitisch geht Macron die Grundprobleme der Gegenwart und Zukunft mit faszinierender Energie an, von Europa über den Mittleren Osten bis Afrika. Die deutsch-französische Kooperation hat sich seit 1949 immer tiefer in der Alltagspraxis verankert, obwohl beide Länder so verschieden sind. Macron stimmt sich engstens ab mit Berlin, das aber derzeit wenig handlungsfähig ist. Wenn das trotzdem Erfolge bringt, betreffen sie große Teile der Welt. Wie der Gouverneur der Banque de France, der Saarländer François Villeroy de Galhau, kürzlich in Saarbrücken mit großem Nachdruck feststellte: Die Chancen dafür bestehen jetzt. Ergriffen werden müssen sie jetzt.

Rainer Hudemann war bis 2013 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des Saarlandes. Bis 2016 war er Professor für neuere Geschichte der deutschspachigen Länder an der Universität Paris-Sorbonne.

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