Die Briten und die Wahl der Deutschen Briten erwarten Merkel, aber fürchten Schulz

London Die Briten haben größte Freude an Mutti. Mit der Übersetzung „Mummy“ taucht der Spitzname in so ziemlich jedem Artikel über Merkel in der britischen Presse auf. Dabei ist die Berichterstattung über den als „langweilig“ gesehenen Wahlkampf im größten EU-Mitgliedsland äußerst spärlich. Im Königreich scheint die Bundestagswahl schon gelaufen.

London Die Briten haben größte Freude an Mutti. Mit der Übersetzung „Mummy“ taucht der Spitzname in so ziemlich jedem Artikel über Merkel in der britischen Presse auf. Dabei ist die Berichterstattung über den als „langweilig“ gesehenen Wahlkampf im größten EU-Mitgliedsland äußerst spärlich. Im Königreich scheint die Bundestagswahl schon gelaufen.

Alles andere als ein Sieg von Kanzlerin Angela Merkel über SPD-Kandidat Martin Schulz wäre auf der Insel eine Überraschung. Die CDU-Vorsitzende wird in Großbritannien mehrheitlich als durchsetzungsstarke, mächtige Frau wahrgenommen, die an der Spitze eines Landes steht, für das die Briten schon seit längerem eine Bewunderung hegen, die über Mercedes-Schlitten, Fußball-Erfolge in wichtigen Elfmeterschießen, Miele-Geschirrspüler und die Trendstadt Berlin hinausgeht. Doch dann kam die Flüchtlingskrise – und die rechtskonservative Presse im Königreich schob der Kanzlerin und ihrer sogar auf Regierungsebene gescholtenen „Politik der offenen Tür“ die Schuld dafür zu, dass Millionen Menschen in Europa eine bessere Zukunft suchten.

Ihre Einwanderungspolitik stieß insbesondere bei den Konservativen auf Kritik. Trotzdem, auch wenn ihre Beliebtheitswerte auf der Insel längst nicht mehr an jene von vor wenigen Jahren heranreichen, in Großbritannien ist der Respekt vor der Wirtschaftsleistung Deutschlands groß und Merkels Ruf als „stabilitätsstiftende, zuverlässige Politikerin in einer ungewissen Welt“, wie eine Zeitung betonte, nach dem Brexit-Votum und Trumps Wahlsieg wieder gefestigt.

Dass es der Wahlkampf aus Deutschland derzeit nur selten über den Ärmelkanal schafft, liegt jedoch nicht nur an der fehlenden Spannung. Die Briten haben vor allem wegen der umstrittenen Brexit-Entscheidung und der unklaren Ausgangslage bei den Verhandlungen darüber mit der EU schlichtweg genug mit sich selbst zu tun. Und so kam zwar die Frage auf, welcher Kandidat bei den Brexit-Verhandlungen am ehesten Kompromisse eingehen würde, um das Königreich beim Austrittsprozess zu unterstützen. Aber sowohl Merkel als auch Schulz stehen entschlossen hinter dem EU-Projekt. Der SPD-Kandidat als ehemaliger EU-Parlamentspräsident und harscher Brexit-Kritiker wird sogar als noch größerer Hardliner betrachtet als Merkel. Was würde passieren, fragt ein Kolumnist im Telegraph fast rhetorisch, sollte Merkel doch verlieren? Immerhin, so schreibt er wie zur Rechtfertigung, irrten sich Umfragen zuletzt häufiger und sie führe „einen so selbstgefälligen Wahlkampf, der selbst jenen von Theresa May aussehen lässt wie einen Wirbelsturm aus Charisma und Energie“. Die britische Regierungschefin verlor bei den vorgezogenen Neuwahlen im Juni die absolute Mehrheit, auch wegen ihres als uninspiriert, inhaltsleer und herablassend kritisierten Wahlkampfs.

Dass sie am Mittwochabend angekündigt hat, bei der nächsten Parlamentswahl in Großbritannien 2020 abermals antreten zu wollen, sorgte denn auch für Stirnrunzeln. Sollte sich May etwa Tipps aus Deutschland holen? Kürzlich fragte der „Telegraph“, was May und die Konservativen von Merkel lernen könnten. Die Deutsche, die „sich weder für einen grausamen Marktkapitalismus noch einen Zurück-in-die-50er-Sozialkonservatismus“ einsetze, habe ihren Erfolg auch der großen Popularität unter den jungen Menschen zu verdanken. Die Tories könnten sich eine Scheibe davon abschneiden. „Die Jungen in Großbritannien sind nicht so verschieden zu jenen in Deutschland“, hieß es. Und für die sei Merkel auch nicht mehr „Mutti“, sondern habe sich längst zur „Oma Merkel“, zur „granny“, gewandelt.

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