Überdrehte Angstspirale

Nie gaben die Deutschen mehr Geld für Haftpflichtversicherungen aus als heute: 6,5 Milliarden Euro pro Jahr, 30 Jahre zuvor waren es noch 1,8 Milliarden. Deutschland ist zur Vollkaskogesellschaft geworden. Einerseits wollen alle maximalen Schutz, andererseits aber selbst immer weniger Verantwortung übernehmen. Einer der Bumerangeffekte unserer Sicherheitshysterie ist der Brandschutz .

Bei größeren Bauprojekten lautet die Gretchenfrage längst "Wie hältst du's mit dem Brandschutz ?". Seit dem Schwelbrand am Düsseldorfer Flughafen vor 20 Jahren mit 17 Toten wurden die Bauordnungen immer weiter verschärft. Und die Republik mit Brandmeldern, Entrauchungsanlagen und Außentreppen überzogen. Die Vernunft blieb mehr und mehr auf der Strecke. Angeheizt von einer boulevardesken Medienmeute, die in jedem Weltwinkel gierig nach Unglücken Ausschau hält und verunsichert von Berichten über millionenschwere Zivilklagen in den USA, verschanzen sich die Genehmigungsbehörden pflichtschuldig hinter Paragraphen. Und fordern beim Brandschutz lieber zu viel als zu wenig. Aus Angst, haftbar gemacht, mit Regressforderungen überzogen zu werden. Das Personal in Bauämtern kann ein furchtsames Lied davon singen.

Dabei hat es in Deutschland auch im Zeitalter seiner brandschutztechnischen Unschuld, also vor Düsseldorf 1996, nicht an jeder Ecke gebrannt. Auch ist seither trotz Milliardenausgaben für die Feuer-Prävention die Zahl der Brandopfer kaum gesunken. Vielmehr zeigt die Statistik, dass sicherheitsfanatisch ein Popanz aufgebaut wurde: 347 Tote durch Brand oder Rauch wurden 2014 beklagt. Dennoch werden landauf, landab Kitas oder Altenheime nach allen Regeln der Brandschutzkunst ertüchtigt. Und sie allesamt durch das Entfernen alles irgendwie Brennbaren immer steriler und damit atmosphärisch quasi beerdigt.

Nicht alleine Kostenexplosionen verursachte der Brandschutz , wie das Debakel um das Saarbrücker HTW-Hochhaus oder die Lachnummer Berliner Großflughafen zeigen, bei denen er im Zentrum aller Probleme steht. Auch eine allgemeine Verunsicherung war die Folge: hier der ganze Auflagenwust mit von einem Bundesland zum nächsten anderen Vorschriften nebst Gutachten zuhauf. Dort die Ratlosigkeit von Bürgern und Initiativen, die die Krake Brandschutz am Wickel hat. So hat Saarbrückens Kinder- und Jugendbuchmesse etwa vor lauter Verboten all ihren improvisatorischen Charme eingebüßt. Wenn Bücher und Dekorationen nurmehr als Brandherde, wenn Pflanzen bloß noch als Hindernisse gelten, dann läuft etwas gewaltig schief im Staate Deutschland. Höchste Zeit also, Brandschutz auf ein vernünftiges Maß zurechtzustutzen. So viel wie nötig, muss die Devise sein. Und nicht, wie heute vielfach, so viel wie möglich.

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