Tränen eines Vaters über die türkische Armee

Istanbul. Wackelige Schwarzweiß-Aufnahmen bringen die mächtige türkische Armee in Bedrängnis. Die Bilder eines unbemannten Aufklärungsflugzeugs vom Typ "Heron" dokumentieren den Angriff von Kurdenrebellen der PKK auf einen Armeeposten im Südosten der Türkei, bei dem in der Nacht zum 20. Juli sieben Soldaten starben

Istanbul. Wackelige Schwarzweiß-Aufnahmen bringen die mächtige türkische Armee in Bedrängnis. Die Bilder eines unbemannten Aufklärungsflugzeugs vom Typ "Heron" dokumentieren den Angriff von Kurdenrebellen der PKK auf einen Armeeposten im Südosten der Türkei, bei dem in der Nacht zum 20. Juli sieben Soldaten starben. Die Angehörigen dieser Soldaten sind überzeugt: Es sind die Bilder eines Skandals. Die Militärführung in Ankara, so ihr Vorwurf, habe Echtzeit-Informationen über den Rebellenangriff gehabt - und dennoch nichts unternommen, um den Soldaten zu helfen.Traditionell gehören die Angehörigen türkischer Soldaten, die im Kampf gegen die PKK fallen, zu den loyalsten Anhängern des Militärs. Häufig zeigen sie sich unbeugsam und kündigen an, weitere Söhne in den Krieg gegen die PKK zu schicken. Doch jetzt geschieht Unerhörtes. Mehrere Familien gefallener Soldaten verklagen die Armee wegen der "Heron"-Aufnahmen, die bald nach dem Angriff von Hantepe in türkischen Medien auftauchten."Ich schwöre, ich habe nicht geweint, als ich die Nachricht vom Tod meines Sohnes bekam", sagte Hasan Say, dessen Sohn Ayhan bei dem Angriff starb. "Aber als ich die Aufnahmen des Aufklärungsflugzeuges gesehen habe, bin ich zusammengebrochen unter dem Schmerz darüber, was meinem Sohn und unserem ganzen Volk angetan wurde." Sein Vorwurf gegen die Armee wiegt schwer. Die "Herons" funken ihre Bilder live an die zuständigen Offiziere. Dennoch forderten die Soldaten in Hantepe vergeblich Verstärkung an. Die PKK-Kämpfer konnten angreifen, die Soldaten töten und unbehelligt wieder in der Nacht verschwinden. Say und mehr als 40 weitere Familien von Gefallenen fordern nun Aufklärung - und eine Bestrafung der Verantwortlichen wegen fahrlässiger Tötung. Die türkische Armee ist so etwas nicht gewohnt. Jahrzehntelang kam es kaum einem Bürger in den Sinn, Entscheidungen der Generäle zu hinterfragen. Die Fragen der Hinterbliebenen von Hantepe wurden im Hauptquartier wochenlang einfach ignoriert. Say sah sich das eine Weile an, dann ging er zur Staatsanwaltschaft. Die zurückliegenden demokratischen Reformen, der mangelnde Erfolg im 26 Jahre dauernden Kampf gegen die PKK sowie eine Reihe von Skandalen um angebliche Putschvorbereitungen von Militärs kratzen am bislang lupenreinen Ruf der Armee. Die Generäle sehen sich Forderungen nach Transparenz gegenüber, juristische Schutzwälle werden geschleift: Im September soll die Kontrolle der zivilen Justiz über die Soldaten per Referendum gestärkt werden. "Wenn bestimmte Leute immer über Recht und Rechenschaftspflicht erhaben bleiben, dann wird sich nie etwas ändern", sagte Cahit Özkan, Chef der Juristenvereinigung Hukukcular Dernegi, der das Vorgehen der Soldatenfamilien unterstützt. Im Fall Hantepe gehen die Kläger vom Versagen der zuständigen Militärs aus. Einen ersten Erfolg konnten sie inzwischen verbuchen: Unter dem Druck der Öffentlichkeit brach der Generalstab sein Schweigen. Ein Hubschrauber mit Verstärkung für die Soldaten habe wegen Nebels und Staubwolken nicht zu dem belagerten Posten vordringen können, erklärten die Militärs. Die Familien wollen sich damit allerdings nicht abspeisen lassen: Schlechtes Wetter genüge ihm nicht als Ausrede für den Tod seines Sohnes, erklärte Hasan Say. Er wolle disziplinarische und juristische Konsequenzen sehen. Die Tage, in denen das türkische Militär vor kritischen Fragen sicher war, sind vorbei.

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