Tödliche Kugeln gegen den Frieden

Paris/Ankara. Möglicherweise hatten Sakine Cansiz, Mitbegründerin der kurdischen Arbeiterpartei PKK, und zwei weitere Aktivistinnen ihren Mördern selbst die Tür geöffnet. Die Frauen starben im Kurdischen Informationszentrum in Paris durch gezielte Schüsse in Nacken und Stirn, wie erste Ermittlungen ergaben

Paris/Ankara. Möglicherweise hatten Sakine Cansiz, Mitbegründerin der kurdischen Arbeiterpartei PKK, und zwei weitere Aktivistinnen ihren Mördern selbst die Tür geöffnet. Die Frauen starben im Kurdischen Informationszentrum in Paris durch gezielte Schüsse in Nacken und Stirn, wie erste Ermittlungen ergaben. Der Dreifach-Mord gefährdet die gerade gestarteten Gespräche zwischen dem türkischen Staat und den Kurdenrebellen: PKK-Anhänger schworen gestern Rache an Ankara, die Hoffnung auf Frieden nach fast 30 Jahren hat einen Dämpfer erhalten.Gültan Kisanak, die Ko-Vorsitzende der legalen Kurdenpartei BDP, sieht die Morde als "Falle", um eine Lösung des Kurdenkonflikts zu verhindern. Und Zübeyir Aydar, ein prominenter PKK-Vertreter in Westeuropa, nannte gar Kräfte im türkischen Staatsapparat als mögliche Täter. In Ankara lenkte die Regierung derweil den Blick auf einen mögliche Fehde innerhalb der PKK. Allerdings sei auch ein Sabotage-Akt gegen die Friedensgespräche denkbar, sagte ein Sprecher der Regierungspartei AKP.

Nach Ansicht vieler Beobachter bieten die Verhandlungen mit dem seit 14 Jahren inhaftierten Rebellenchef Abdullah Öcalan die beste Gelegenheit seit langer Zeit, die Gewalt im Kurdengebiet zu beenden: Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird mit Blick auf anstehende Wahlen ihr ganzes Gewicht einbringen, und viele Kurden wollen endlich Wohlstand statt Waffen. Trotz der günstigen Voraussetzungen gibt es aber keine Garantie für einen Erfolg von Erdogans mutiger Initiative.

Der Ministerpräsident dringt nicht etwa aus selbstloser Friedensliebe auf eine Lösung des Kurdenkonflikts. Die Türken werden bis Ende 2015 nicht nur ein neues Parlament und neue Bürgermeister in allen Städten wählen, sondern auch einen neuen Präsidenten - und Erdogan strebt selbst das höchste Staatsamt an. Eine historische Leistung wie die Lösung des Kurdenkonflikts würde seine starke Position rechtzeitig vor Beginn der Wahlkämpfe zementieren. Auch auf kurdischer Seite gibt es den starken Wunsch nach einer Lösung. Selbst Politiker der BDP kritisieren inzwischen gewaltsame Aktionen der PKK-Kämpfer als Sabotage des wirtschaftlichen Aufbaus im verarmten Kurdengebiet.

Vor einem Friedensschluss stehen jedoch noch schmerzhafte Entscheidungen beider Seiten. Eine zentrale Rolle spielt die Neudefinition des Staatsbürgertums: Die Kurden wollen nicht mehr als "Türken" geführt werden. Die Idee eines "Staatsbürgers der Türkei" als Ausweg klingt für westeuropäische Ohren zwar harmlos, weckt bei türkischen Nationalisten aber Furcht vor Separatismus. Im Gegenzug wird die kurdische Seite auf die Forderung nach einem eigenen Staat und weitreichender regionaler Autonomie verzichten müssen. Ein föderaler Umbau des zentralistischen Systems, an dessen Spitze er selbst aufrücken will, kommt für Erdogan nicht in Frage.

Doch selbst wenn die Gesprächspartner sämtliche bitteren Pillen schlucken sollten, gibt es immer noch Hardliner auf beiden Seiten, die den Frieden nicht unbedingt herbeisehnen. Auch deshalb war in der Türkei gestern niemand wirklich überrascht von der Nachricht der Pariser Morde. Schon in der Vergangenheit waren Vermittlungsbemühungen immer wieder durch Gewalttaten der PKK wie der Sicherheitskräfte gestört worden. Erdogans Initiative hat zwar günstige Ausgangsbedingungen - aber sie hat nicht nur Freunde.

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