Timoschenko kann auf Straßburg hoffen

Straßburg · Momentan wird die prominente Gefangene in einer Klinik behandelt. Vom Krankenbett aus dürfte am heutigen Dienstag Julia Timoschenko, wegen „Amtsmissbrauchs“ zu ihrer Zeit als Kiewer Regierungschefin für sieben Jahre hinter Gitter verbannt, einer Urteilsverkündung im fernen Straßburg entgegenfiebern: Das Menschenrechtsgerichtshof will über die Rechtmäßigkeit der gegen die 52-jährige gerichteten Strafverfolgung entscheiden.

Für die Ikone der Opposition ist dieses Vorgehen Ausdruck einer politischen Instrumentalisierung der Justiz, Staatschef Viktor Janukowitsch wolle sie als Widersacherin ausschalten. Deren Fall markiert den politisch brisantesten Prozess der Europaratsrichter seit langem: Der Spruch von Straßburg wird weitreichende Folgen nicht nur für die ukrainische Innenpolitik, sondern auch für das Verhältnis zwischen der vom Europarat unabhängigen EU und Kiew haben - ein wirtschaftliches Assoziierungsabkommen liegt vor allem wegen der Causa Timoschenko auf Eis.

Eine Freilassung der Oppositionellen würde helfen, einem Vertrag zwischen Brüssel und der Ukraine den Weg zu ebnen. Doch heute wird nicht entschieden, ob die Gefangene auf freien Fuß gesetzt werden muss: Die Europaratsrichter befinden nicht, ob Timoschenko zu Recht oder zu Unrecht belangt wurde, weil sie einst als Premier mit Moskau ein für Kiew nachteiliges Gasgeschäft vereinbart haben soll. Denn Timoschenko hat ihre Klage in Straßburg noch vor ihrer Verurteilung im Oktober 2011 eingereicht: Sie rügt, ihre Festnahme sei aus politischen Gründen erfolgt, die U-Haft rechtswidrig gewesen und man verweigere ihr adäquate medizinische Betreuung. Kiews Außenminister Leonid Koschara verteidigt zwar die Haftstrafe, räumt aber ein, dass "Ermittlungen und Prozess problematische Aspekte hatten", die Strafprozessordnung stamme aus Sowjet-Zeiten.

Timoschenkos Chancen scheinen heute recht gut zu stehen. Fingerzeige liefert ihr Ex-Innenminister Juri Luzenko, der ebenfalls wegen "Amtsmissbrauchs" für vier Jahre hinter Gitter geschickt worden war, weil er einst seinem Fahrer ein zu hohes Gehalt bezahlt und illegal eine Wohnung verschafft haben soll.

Straßburg dekretierte im Sommer 2012, Luzenkos Festnahme und U-Haft seien "unverhältnismäßig" gewesen, hinter dem Vorgehen gegen den Politiker seien neben juristischen "auch andere Gründe" zu vermuten - für Janukowitschs Gegner ein höchstrichterlicher Beleg für die politische Instrumentalisierung der Justiz. Indes musste Luzenko im Knast bleiben, weil sich die Instanz des Europarats nicht zu seiner Verurteilung an sich äußerte. Allerdings begnadigte Janukowitsch Timoschenkos Vertrauten jetzt im April. Könnten sich nach einem Erfolg in Straßburg die Gefängnistore auch für die Ex-Regierungschefin nach einigen Monaten öffnen?

Das Regime würde bei einer Begnadigung sein Gesicht wahren. Gegen ein Einlenken spricht freilich, dass gegen die Promi-Politikerin mittlerweile weitere Ermittlungen laufen - unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und wegen des Verdachts, sie sei als Premier in ein Mordkomplott verwickelt gewesen.

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