Nach Anschlägen von Paris Terror-Verdächtiger wird an Belgien verliehen

Brüssel Im Brüsseler Justizplast, der mit seiner goldenen Krone hoch über der Stadt thront, hat man Erfahrungen mit Mammutprozessen. Hier wurde 2004 der berüchtigte belgische Kindermörder Marc Dutroux verurteilt. Doch nun kommt auf das renovierungsbedürftige Gebäude, das seit Jahren von einem Gerüst gestützt werden muss, ein ungleich größeres Verfahren zu: Salah Abdeslam, 28 Jahre alt, geboren in der Brüsseler Gemeinde Molenbeek, muss sich ab dem 18. Dezember wegen einer Schießerei Mitte März 2016 verantworten. Damals hatten belgische und französische Zielfahnder eine Wohnung im Ortsteil Forest durchsuchen wollen. Noch bevor sie die eintraten, eröffneten zwei Terroristen von innen das Feuer. Drei Polizisten wurden verletzt. 143 000 Euro fordert der belgische Staat als Entschädigung für die drei Beamten.

Doch Abdeslam, der marokkanische Wurzeln hat, aber in Brüssel aufgewachsen ist und eine Lehre bei den örtlichen Verkehrsbetrieben STIB absolviert hat, sitzt derzeit noch im französischen Fleury-Mérogis ein. Er wird rund um die Uhr bewacht, weil die Behörden fürchten, er könne sich das Leben nehmen. Als Belgien im Oktober einen europäischen Haftbefehl ausstellte, erklärte sich Frankreich bereit, den Gefangenen „auszuleihen“. Für die Dauer des Verfahrens soll Abdeslam nun in das Gefängnis von Vendin-le-Vieil (Pas-de-Calais) nahe der belgischen Grenze verlegt und an den Verhandlungstagen in das rund 130 Kilometer entfernte Brüssel gebracht werden – möglicherweise mit einem Hubschrauber.

Der Prozess gilt als Beginn der strafrechtlichen Aufarbeitung der Anschläge von Paris vom 13. November 2015 mit 130 Toten und knapp 700 Verletzten sowie der Bomben in Brüssel mit 32 Opfern und über 300 Verletzten. Bisher haben die Ermittlungsbehörden kaum Details von den Vernehmungen preisgegeben. Nur sein Brüsseler Anwalt Sven Mary äußerte sich bereits – wenn auch abfällig – über seinen Mandanten. Abdeslam sei „ein kleines A...loch“ und verfüge bestenfalls über „die Intelligenz eines leeren Aschenbechers“, sagte er.

Beobachter gehen davon aus, dass hier die Verteidigungsstrategie vor Gericht zu erkennen sei. Abdeslam soll als „kleines Licht“ der Brüsseler Terrorzelle dargestellt werden, unfähig, die Logistik einer solchen Anschlagsserie aus eigener Kraft zu schaffen. Dem widersprechen belgische Polizeispezialisten. Sie gehen sogar davon aus, dass der lange Zeit meistgesuchte Terrorist Europas, der sich nach den Attentaten in Paris über 100 Tage in Molenbeek versteckte, eine Schlüsselfigur sein könnte. So gebe es Hinweise darauf, dass die Verhaftung Abdeslams wenige Tage vor den Bomben am Brüsseler Flughafen und in einer Metro die mutmaßlichen Mittäter derart schockierte, dass sie überhastet ihre Sprengsätze zündeten. Eigentlich sei ein deutlich größeres Attentat geplant gewesen.

Doch zunächst geht es nur um die Schießerei in Forest. Ob die Polizeibeamten damals die beiden Terroristen (Abdeslams Komplize Belkaid Mohammed wurde von einem Scharfschützen erschossen) gestört haben, als sie einen anderen Anschlag planten, ist bisher ungeklärt. Immerhin liegt die Wohnung, in der sich beide aufhielten, gegenüber den Audi-Werken, die der damalige Bundespräsident Joachim Gauck nur einen Tag vor dem Anti-Terror-Einsatz besucht hatte.

Salah Abdeslam gilt als einziger Überlebender der Pariser Terrozelle. In Paris hatten am 13. November 2015 drei Terrorkommandos bei Anschlägen auf den Musikclub „Bataclan“, verschiedene Bars und Restaurants sowie am Stadion Stade de France insgesamt 130 Menschen ermordet.

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