Szenen einer Ehe

Meinung · Während die Weltwirtschaftskrise immer tiefere Schneisen auch in Deutschland schlägt, gefallen sich die Politiker zunehmend in der Kirmeskunst, dicke Backen zu machen und den Lukas zu hauen. Viele öffentlichen Aussagen der Amts- und Mandatsträger stehen bereits im Zeichen des Wahlkampfs und vernachlässigen den Wählerauftrag, "zum Wohle der Allgemeinheit" konstruktiv zusammenzuarbeiten

Während die Weltwirtschaftskrise immer tiefere Schneisen auch in Deutschland schlägt, gefallen sich die Politiker zunehmend in der Kirmeskunst, dicke Backen zu machen und den Lukas zu hauen. Viele öffentlichen Aussagen der Amts- und Mandatsträger stehen bereits im Zeichen des Wahlkampfs und vernachlässigen den Wählerauftrag, "zum Wohle der Allgemeinheit" konstruktiv zusammenzuarbeiten. Seit einer ganzen Weile schon zelebriert die große Koalition in Berlin das Schauspiel einer zerrütteten Ehe: Man spukt Gift und Galle, nölt und lästert über den Partner wie in einer Nachmittagsshow der Privatsender. Die zänkische und rechthaberische Attitüde mag kindisch sein, doch sie ist real. Sie folgt einem Muster, das zwar beklagt, aber nie ernsthaft in Zweifel gezogen wird: Aufmerksamkeit erregen, um jeden Preis! Dahinter steht offenbar die Befürchtung, dass sich eine mangelhafte Wahrnehmung negativ auf die Chancen der betroffenen Partei beim Wahlverhalten der Bürger auswirken könnte. Die Forderung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle nach einem Vorziehen des Wahltermins ist nicht sehr originell, hat aber eine gewisse Berechtigung. Denn tatsächlich haben Union und SPD ihre Zusammenarbeit weitgehend eingestellt und sich offensiv dem Wahlkampf zugewandt. Man will sich positionieren und dem Gegner kein Terrain mehr überlassen. Angeblich geht es dabei um das Wohl des Volkes; doch maßgeblich sind die Interessen der Parteien. Sähe die Kanzlerin in baldigen Wahlen einen Vorteil für die Union, sie würde nicht zögern, die Koalition platzen zu lassen. Doch wie die seit langem schwächelnde SPD hoffen auch CDU und CSU, ihre Flaute bis zum Herbst überwunden zu haben. Angela Merkel spekuliert zudem auf den "Saar-Effekt", worunter das Abschneiden der Linkspartei bei der Landtagswahl und ein mögliches rot-rotes Bündnis im Saarland zu verstehen ist. Ein solches Szenario ließe sich bis zur Bundestagswahl vier Wochen später trefflich ausschlachten. Das Bild, das die taktierenden und keifenden Partner nun vermutlich bis zum (bitteren) Ende im Herbst abgeben, ist wenig schmeichelhaft. Es ist angesichts der veritablen Wirtschaftskrise auch verantwortungslos. Dies gilt insbesondere für CSU-Chef Horst Seehofer, der ungeniert zündelt und zugleich den Feuerwehr-Hauptmann spielen will. Wer jetzt aber verbrannte Erde hinterlässt, könnte ein böses Erwachen erleben: Da die Wähler sich nicht nach den Wünschen der Parteien richten, ist es gut möglich, dass Union und SPD auch künftig regieren (müssen) - gemeinsam in einer Neuauflage der großen Koalition.

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