Sünden der Vergangenheit holen Jacques Chirac ein

Paris. Kaum ein Franzose zweifelt daran, dass ein politisches Schlitzohr wie Ex-Präsident Jacques Chirac nicht hier oder da mal gemauschelt hätte. Aber ihn deswegen gleich vor Gericht stellen? Viele Franzosen sind perplex, dass der 78 Jahre alte Chirac nun tatsächlich wegen einer Veruntreuungsaffäre aus den 90er Jahren zur Rechenschaft gezogen wird

Paris. Kaum ein Franzose zweifelt daran, dass ein politisches Schlitzohr wie Ex-Präsident Jacques Chirac nicht hier oder da mal gemauschelt hätte. Aber ihn deswegen gleich vor Gericht stellen? Viele Franzosen sind perplex, dass der 78 Jahre alte Chirac nun tatsächlich wegen einer Veruntreuungsaffäre aus den 90er Jahren zur Rechenschaft gezogen wird. Der Prozessbeginn heute ist eine historische Premiere: Bislang hat sich noch kein französischer Präsident vor Gericht verantworten müssen. Allerdings rechnen die wenigsten damit, dass es zu einem Urteil kommt. Die Staatsanwaltschaft beantragte bereits im September 2009 die Einstellung der Ermittlungen, wird also wohl auf Freispruch plädieren.

Die Affäre, die nun vor Gericht verhandelt wird, betrifft die Zeit, in der Chirac Bürgermeister von Paris war. In seinen Memoiren erinnert er sich, dass er ganz begeistert war von den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen: umgerechnet etwa 800 Millionen Euro und 38 500 städtische Angestellte.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm heute vor, dass 28 von ihnen zwar auf der Gehaltsliste der Stadt standen, tatsächlich aber nicht für die Stadt arbeiteten. Einige von ihnen hätten für ihr Geld gar nichts getan, andere hätten für die RPR-Partei gearbeitet, deren Chef Chirac zeitgleich war. Für den "König der Ämterhäufung" war das Rathaus in erster Linie ein Sprungbrett in den Élysée-Palast.

Chirac und Co. hätten seinem Vater "einen Gefallen tun wollen", indem man ihn auf die Gehaltsliste des Rathauses setzte, sagt François Debré, ein Sohn des früheren Regierungschefs Michel Debré. Mehr als 100 000 Euro strich Debré laut Anklage ein, ohne dass die Stadt dafür eine Gegenleistung erhielt. Der lange Zeit drogenabhängige Journalist habe "eine zweite Chance" verdient gehabt, erklärte Chirac. Zu Gute kamen die fraglichen Arbeitsverhältnisse auch einem Enkel von Republikgründer Charles de Gaulle. Der RPR-Abgeordnete Jean de Gaulle konnte sich über zwei Mitarbeiter freuen, die von der Stadt Paris mit über 69 000 Euro entlohnt wurden.

Der Justiz waren lange die Hände gebunden, da Chirac in seiner Amtszeit strafrechtliche Immunität genoss. An seiner Stelle traf es seinen früheren Stellvertreter Alain Juppé, der 2004 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und eine politische Zwangspause an einer Universität in Kanada einlegte. Juppé schaffte das Comeback: Vor gut einer Woche wurde er zum Außenminister ernannt.

Ob es tatsächlich zum Prozess kommt, ist alles andere als sicher, auch wenn Chirac von seiner Frau Bernadette kürzlich erst verkünden ließ, dass er sich selbstverständlich dem Gericht stellen werde. Bernadette war es auch, die erst Gerüchte in die Welt setzte, dass Chirac möglicherweise an Alzheimer leide, um sie dann wieder zu dementieren.

Im Fall einer Verurteilung drohen Chirac, der immer seine Unschuld betont hat, bis zu zehn Jahre Haft und 150 000 Euro Strafe. Allerdings hat die Stadt Paris sich schon bereiterklärt, gegen eine Entschädigung in Höhe von 2,2 Millionen Euro darauf zu verzichten, als Nebenklägerin aufzutreten. Den größeren Teil in Höhe von 1,7 Millionen Euro übernimmt die Regierungspartei UMP, Nachfolgepartei der RPR. Chirac selber soll 550 000 Euro zahlen. Das Gericht will nach vorläufigem Plan bis zum 4. April verhandeln. Wann das Urteil verkündet werden soll, steht noch nicht fest.

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