Stimmungen statt Fakten

Donald Trump verbittet sich einen Faktencheck. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner will auch im Rededuell mit seiner demokratischen Kontrahentin Hillary Clinton das tun, was er immer tat in diesem langen US-Wahlkampf : emotionalisieren, skandalisieren, lächerlich machen. Und mit Unwahrheiten um sich werfen. Obama sei kein Amerikaner, sondern Gründer des Islamischen Staates, Belgien eine "wunderbare Stadt" und China profitiere von TTIP - einem Abkommen zwischen Europa und den USA. Solch krudes Zeug äußerte Trump mit großer Selbstverständlichkeit, weil er weiß: Die Menschen, auf die er als Wähler zielt, himmeln ihn an wie einen Popstar, gerade weil er lügt und sich dessen noch rühmt. Konsequent auf Stimmungen statt auf Daten und Fakten zu setzen, ist indes keine Spezialität Trumps. Eher erleben wir eine "Trumpisierung" weltweit.

Rechtspopulistische Bewegungen und Parteien leben davon, sich und ihre Anhänger nach Sektenmanier im geschlossenen Raum zu halten. Massive Beschallung im Internet gehört dazu. Auf Blogs und dubiosen Nachrichtenseiten werden Halbwahrheiten und Behauptungen eingestellt, die auf eines zielen: Gefühlslagen zu verstärken. Es sind selbstreferenzielle Räume - als Fakt wird akzeptiert, was man glaubt. Dort treten Gurus auf, die mit Verschwörungstheorien Anhänger um sich scharen. Je mehr Menschen diesen Instanzen Glauben schenken, umso mehr bröckelt das Vertrauen in demokratisch gewählte Akteure. Die Wissenschaft hat dem Phänomen längst einen Namen gegeben: das postfaktische Zeitalter. Als in einer TV-Reportage sich eine Frau heftig empörte über Asylbewerber, die Kinder von der Straße weg klauten, und der Journalist ihr entgegenhielt, es habe nicht eine einzige entsprechende Anzeige bei der Polizei gegeben, antwortete sie: "Ist mir egal, ich glaub's trotzdem!" Darüber kann man lachen - oder tief nachdenklich werden. Selbst aufgeklärte Menschen sind durch Dauerbeschallung mit Untergangsszenarien und Sündenbock-Rhetorik versucht, Dinge eher glauben als wissen zu wollen. Objektivität und Wahrheit scheinen bei manchen zu individuellen statt überprüfbaren Kategorien geschrumpft. Doch eine Gesellschaft, die mehr glauben als wissen will und den Institutionen wie Universitäten oder Medien Vertrauen versagt, ist Demagogen ausgesetzt, die ihre narzisstischen Egos auf ihre Kosten ausleben. Ob Marine le Pen oder Frauke Petry, Nigel Farrage oder Geert Wilders - ihnen allen gemein ist, dass sie zerstörerisch in ihre Gesellschaft hineinwirken. Noch vertraut eine breite Mehrheit der Bevölkerung auf ein faktenbasiertes, überprüfbares Miteinander, doch unsere Demokratie ist Gefährdungen ausgesetzt. Es wird Zeit, ihre Vorteile herauszustellen.

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