Stelldichein der großen Merkel-Kritiker

München · Der eigentliche Anlass steht längst im Hintergrund. Allein die Ankündigung eines Auftritts von Ungarns Regierungschef Viktor Orban am 17. Oktober im bayerischen Landtag hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Von einem "Missbrauch des Hohen Hauses" ist die Rede, von Geschichtsvergessenheit. Da scheint es gleich, dass mit dem Festakt dem 60. Jahrestag der friedlichen Revolution in Ungarn gedacht werden soll. Bayerns SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher sieht in dem Termin einen roten Teppich für einen "Europazerstörer". Er sagte seine Teilnahme per Protestbrief ab, Grüne und Freie Wähler erhielten nicht mal eine Einladung. Das Treffen, bei dem Horst Seehofer und Orban Reden halten, sei eine Ohrfeige für Kanzlerin Angela Merkel. "Der Ministerpräsident und CSU-Chef macht Außenpolitik nur zu innenpolitischen Zwecken", sagt Rinderspacher.

Auch aus der CDU kommen - hinter vorgehaltener Hand - kritische Töne. In Zeiten der vorsichtigen Annäherung von CDU und CSU sorge ein solcher Termin auf deutschem Boden für Magengrummeln. Andere sprechen gar vom nächsten Affront aus Bayern gegen Merkel. Mit Seehofer und Orban treffen sich schließlich zwei Politiker, die seit mehr als einem Jahr an Merkels Flüchtlingspolitik sägen, jeder auf seiner politischen Ebene.

Doch es gibt auch andere Stimmen in der CDU . "Ungarn ist Mitglied der EU, Ungarn hat vor 60 Jahren für die Freiheit gekämpft und ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass Regierungsmitglieder aus Ungarn sich in allen deutschen Landtagen mit Abgeordneten treffen können", sagt Parteivize Armin Laschet . Der Austausch mit Ungarn sei gerade jetzt wichtig.

Fest steht: Orban spielt sich in seinem Heimatland autokratisch auf. Was dessen rigiden Umgang mit Flüchtlingen angeht, ist die deutsche Politik freilich von Scheinheiligkeit nicht frei. Einerseits empört man sich über den Zaunbau an der ungarischen Grenze, andererseits ist man froh, dass Orban den Schutz der EU-Außengrenzen wirklich ernst genommen und im Schulterschluss mit Mazedonien die Balkanroute wirksam blockiert hat. Der CSU kann man diese Scheinheiligkeit nicht vorwerfen. Schon mehrfach umarmte die ewige bayerische Regierungspartei den starken Mann aus Budapest demonstrativ - ungeachtet der Tatsache, dass die Liste der Verstöße gegen demokratische Prinzipien in Ungarn von Eingriffen in die Unabhängigkeit der Justiz und die Medienfreiheit bis zur bewussten Ausgrenzung der Roma reicht. Orbans Ungarn scheint auf dem Weg zur "gelenkten Demokratie" Wladimir Putins - auch wenn Orban zuletzt eine Schlappe in Form eines ungültigen Volksentscheids erlitten hat.

Den feinen Unterschied zwischen einer offiziellen Einladung des bayerischen Parlaments und dem Auftritt in einer lediglich "gemieteten Immobilie" wird wahrscheinlich kaum jemand machen. "Orban spricht im bayerischen Landtag", wird es heißen - vor allem in Ungarn. Vermutlich hat der Redner darauf spekuliert, sonst hätte er sich einen anderen Ort für das Gedenken aussuchen können. München bietet ein breites Spektrum an Veranstaltungsorten.

Aber so ist es in Bayern oft: Die Exekutive äußert Wünsche, und die Legislative - also die CSU-Mehrheit - folgt. Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Orban wird sich wie daheim fühlen.

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